Brot und Spiele

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Ich lese derzeit meine Morgenzeitung online und stoße in der Sonntagsaugabe auf eine erheiternde Kolumne, wo es unter anderem um die Ig-Nobelpreise geht, die kürzlich zum 35. Mal von der Zeitschrift Annals of Improbable Research verliehen wurden. Es sind Spaßpreise zu kuriosen wissenschaftlichen Forschungen, die einerseits zum Lachen, aber auch zum Nachdenken anregen sollen. So bekam ein japanisches Team den Fachpreis in Biologie für seine Forschungen zu Kühen, die durch aufgemalte Zebrastreifen optimalst gegen Stechmücken geschützt sind. Was hier skurril und lustig klingt, hat aber auch einen ernsten wirtschaftlichen Hintergrund. Da die Kühe weniger mit der Abwehr von Stechmücken beschäftigt sind, bleibt für sie mehr Zeit zum Grasen, was einen Gewinn für die amerikanische Rinderzucht von 2,2 Mrd. Dollar jährlich bringen würde.

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Dass unter Alkoholeinfluss die Fremdsprachenkenntnisse verbessert werden, kann ich durch Selbstversuche bestätigen. Ein deutsches Team von der Universität Freiburg erhielt den Preis in der Kategorie ‚Frieden‘ für diese Studie. Ich überlege, ob meine stagnierenden Türkischkenntnisse an der Alkoholabstinenz hier in der Türkei liegen? Für meinen Kulturausflug in das antike Theater von Aspendos hätte ich mir wenigstens einen Schnaps verdient.

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Die Fahrt von Side nach Aspendos dauert eigentlich nicht lange. Das Auto meiner Chefin ist prall und prominent gefüllt mit den beiden Kommissarinnen, zwei vom türkischen Kulturministerium nach Side entsandte „Aufpasserinnen“, der Co-Chefin und mir, sozusagen geballte Frauenpower in einem Auto. Die Fahrt ist nicht nur wegen der Eile abenteuerlich, im Abendverkehr wird die zweispurige Autobahn nach Antalya nämlich gerne vierspurig umfunktioniert, dementsprechend kreuz und quer bewegen sich Autos, Mopeds, Autobusse und LKWs. Der Lärmpegel im Auto steigt, die Damen unterhalten sich prächtig. Keiner achtet auf die Straße, ich staune nicht schlecht, was sich alles ausgehen kann, halte auch durchaus oft die Luft an. Endlich ist die Abfahrt nach Belkis erreicht, – ich schlage innerlich ein Kreuz – und wir stehen auch schon im Stau. Der Kampf um den Parkplatz beginnt.

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Während der Sommersaison bietet das römische Theater von Aspendos mehrere Vorstellungen. Es ist eines der besterhaltenen römischen Theater, die es gibt, dementsprechend groß ist der Andrang. Der Besucherparkplatz für die Ausgrabungsstätte ist bereits mit zig Reisebussen verstellt, auch entlang der Straße parkende Autos. Meine Chefin biegt kurzerhand in ein Feld ein, wo der Bauer wohlwissend über die gesamte Breite einen Graben gezogen hat. Wir können die Chefin im letzten Moment stoppen, was sie aber nicht davon abhält, trotzdem in den Graben zu fahren und stecken zu bleiben. Wir steigen aus, Aufregung um mich, Männer eilen herbei und im Nu ist der Wagen aus dem Graben geschoben. Das Auto bleibt so geparkt, wie es abgestellt ist und wir eilen zum Eingang, überholen im Laufschritt die Warteschlange. Der Museumsdirektor von Aspendos erwartet uns schließlich am Eingang und wir bekommen seitlich hoch oben in der Cavea eine Reihe zugeordnet.

Am Weg ins Theater. Künstler bereiten sich noch vor.

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Das Theater ist bereits ziemlich voll, das Orchester stimmt die Instrumente, wir setzen uns auf die Steinbank. Es ist für mich das erste Mal, dass ich eine Aufführung in einem antiken Theater sehe. Ich habe dieses Jahr bereits für das Amphitheater von Verona recherchiert, fürchtete aber die touristengerechte Inszenierung von La Traviata. Ich warte gespannt auf den Beginn. Eine Ansage noch, die letzten Menschen erklimmen ihre Ränge – wie muss das wohl vor 2.000 Jahren gewesen sein? Das Orchester beginnt mit wohlbekannten Klängen. Ich habe „Schwanensee“ zuvor noch nie gesehen, da es mich bislang nicht zu Ballettveranstaltungen gezogen hat. Jedenfalls trippeln bald die kleinen Ballerinaschwänchen auf die Bühne und umgarnen Prinz Siegfried, der wiederum die einsame verwunschene Schwanenprinzessin Odette umgarnt. Es zieht sich schließlich ein wenig in die Länge, der Stein, auf den ich sitze, ist hart und kalt, die Leute um mich reden, lachen, gehen herum, das Orchester ist allerdings großartig, die Tanzkünste kann ich nicht beurteilen, mir hat es gefallen. Ich freue mich nach zweieinhalb Stunden trotzdem auf den Schlussapplaus, den es aber so nicht gibt, da das Publikum sich längst in Bewegung setzt. Dafür ist das Publikum während der Aufführung sehr applausfreudig. Es wird zu Beginn eines Stückes geklatscht, während der Ballettvorführung, zu Ende eines Stückes – immer wieder Jubel und Applaus. Am Ende, als sich die Darsteller*innen und das Orchester verbeugen, gibt es allerdings keinen Applaus, da sich die große Menge in Bewegung setzt. ich bin fassungslos, die Tänzer*innen und das Orchester hätten sich wirklich einen kräftigen Schlussapplaus verdient.

Das Theater füllt sich
Vor der Aufführung. Das Orchester stimmt sich ein.
Schwanentanz

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Jedenfalls klettern wir über rutschige Steinstufen von unserer hohen Position hinab, es dauert, bis wir in der Orchestra ankommen, da viele ältere Damen beim Hinabgehen gestützt werden müssen. Es dauert auch, bis wir unser Auto erreicht haben. Als ich versuche, ein Gespräch über das Orchester und Odette zu führen, merke ich, dass man hier am Inhalt nicht so interessiert ist. Es geht mehr um die Wirkung und das Dabeisein. Wie vor 2.000 Jahren? – Brot und Spiele, um das Volk bei Laune zu halten!

 

Frau Krautundrübe

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