Die Apokalypse findet (noch) nicht statt

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Als ich unlängst von meinem Pfingstwochenende heimkehre, wird nach der Auspackerei das Postfach gelehrt. Zwei Zeitungen mit Wochenendausgaben sind eingerollt und vom Regen leicht mitgenommen mit verklebtem, gewelltem Zeitungspapier in der dafür vorgesehenen Zeitungsrolle unter dem Postkastl. Ich überlege kurz, ob die beiden Zeitungen nicht direkt in den Altpapierkontainer wandern sollen, entschließe mich dann aber für ein rasches Durchblättern. Ich stoppe beim Sonntagsinterview, lese die Überschrift „Die Apokalypse wird uns enttäuschen“, sehe das Bild eines Mannes, der mit gespitzten Lippen, leicht angespannt posiert und erkenne den Philosophen Peter Sloterdijk, lese den Satz „Das Eindringen der Maßlosigkeit ist der eigentliche Sündenfall unserer Zeit.“, was mich wieder zu meinem Pfingstwochenende zurück führt.

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Geplant ist eine Etappe des Giro d’Italia. Herr Krautundrübe ist verantwortlich für die Planung und Durchführung und entscheidet sich für eine Tour im italienisch-slowenischem Grenzgebiet mit erheblich zu bewältigenden Höhenmetern. Wegen unserer problematischen Autosituation nützen wir die Mitfahrgelegenheit in einer schwarzen Limousine mit braunen Ledersitzen und jeglichem elektronischem Pipapo (So hatten die Beifahrersitze zum Beispiel eine Massagefunktion. Um das Auto möglichst lange als Wohlfühloase zu speichern?). Wir gleiten fast geräuschlos zur Grenze nach Italien und passieren Tarvis, wo die 20. Etappe des Giro gerade auf den Monte Lussari führt. Ich sehe von der Autobahn aus die Streckenposten und abgesperrten Straßen mit zahlreichen Zuschauer:innen. Wir erreichen schließlich schneller als geplant unser Quartier in Cividale del Friuli, wo wir im Zentrum des historischen Städtchens unser Quartier beziehen. Während sich die Gruppe nach ausführlichem Fachsimpeln und Materialvergleichen zu einer Radrunde entschließt, lockt mich das gegenüber unseres Quartiers gelegene Museum, wo die Grabbeigaben der langobardischen Siedlung Forum Iulii ausgestellt sind. Der Bau dieses Palazzos, in dem das Museum untergebracht ist, geht auf Andrea Palladio zurück. Sehenswert ist das Museum wegen seiner Mostra dei Langobardi, der Langobardenausstellung. Treffpunkt mit der Radgruppe ist schließlich im Caffe del Corso an der Piazza Paolo Diacono. Bei einsetzender ubiquitärer Zufriedenheit werden die ersten Birra grande, Aperol Spritz und Campari Spritz genossen und die Frage nach dem Abendessen aufgeworfen. Herr Krautundrübe und ich hätten problemlos innerhalb kürzester Zeit eine Lokalität gefunden, wo wir uns den Bauch fein vollgeschlagen hätten, was sich aber in diesem Fall als schwierig erweist, da wir mit einer Runde Gourmets und Sommeliers unterwegs sind. Francesca, die gute Seele unserer Unterkunft, empfiehlt uns schließlich am Domplatz ein Lokal mit friulanischen Spezialiäten, auf die wir uns einigen können. Wir bestellen Frico con patate, sowie Polenta, Prosciutto und Linsensuppe, wobei uns das Frico-Gericht besonders schmeckt. Dahinter verbirgt sich ein gehaltvoller Käse-Kartoffel-Fladen, sozusagen die italienische Variante eines Kartoffelpuffers. Zubereitet wird diese Spezialität mit Montasio-Käse. Mitte des 15. Jahrhunderts soll Frico bereits in einem der ersten Kochbücher der Neuzeit genannt worden sein, und zwar im De Arte Coquinaria des Maestro Martino, seinerzeit Koch des Patriarchen von Aquileia Lodovico Trevisan. Bereits während des Essens der friulanischen Spezialitäten fällt den Gourmets-Sommeliers ein, dass die mehrmals ausgezeichnete, weltbeste Köchin Ana Ros nur eine halbe Stunde von uns entfernt kocht, was viel Begeisterung nach sich zieht, sodass schließlich zum Telefon gegriffen wird, um einen Tisch zu reservieren, was vorerst als eher aussichtslos angesehen wird.

Cividale zu Pfingsten

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Die Telefonierende schafft mit viel Hartnäckigkeit einen Tisch mittags im Hisa Franko, dem Restaurant der weltbesten Köchin Ana Ros in Kobarid in Slowenien, das mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichnet ist, zu reservieren. Die Aufregung ist auf der einen Seite groß, hält sich bei mir allerdings in Grenzen. Nachdem ich weder gerne sehr viel Geld für Essen ausgebe, mag ich auch meinen Urlaub selten mit Essen verschwenden – dieser Tick hat sich nach den vielen „Was gibt es heute zu Essen“-Fragejahren der Krautundrübenkinder in mir festgenagelt. Die Herren starten die Giro-Etappe, während die Damen aufgeregt vor dem bevorstehenden Essen herumflattern. Als wir im Restaurant ankommen, werden wir von jungen Herren in modischem Outfit empfangen. Wir nehmen im lauschigen Garten einen Aperitif ein und werden schließlich in unseren Essraum geleitet, wo sich uns ein junger Herr als Davide vorstellt. Er wird sich während des ganzen Essens um uns kümmern und uns mit Informationen versorgen. Es gibt schließlich nur ein Menü – „50 Shades of Life“ mit 14 Gängen und Wein- oder Saftbegleitung. Ich entschließe mich – wohl auch als Zeichen meines Widerstands – für Wasser. Die einzelnen Gänge erweisen sich als unglaubliche Geschmackserlebnisse und einem zusätzlichen Augenschmaus, indem die Gerichte als kleine Kunstwerke zubereitet sind. Nach 14 Gängen bin ich angenehm satt und tatsächlich auch beeindruckt. Ana Ros und ihr junges Team haben sich Nachhaltigkeit auf die Stirn geschrieben. Die Zutaten bestehen aus sehr vielen saisonalen Wiesenkräutern, Nüssen oder fermentiertem Käse, auf Fleisch verzichtet man zum Großteil. Die Speisen sind eigentlich bescheiden und unaufdringlich, aber immer ein Geschmackserlebnis. Trotzdem bleibt mir diese Art von Maßlosigkeit und diese Unverhältnismäßigkeit fremd. Ich denke an den Film The Menu, eine Horrorkomödie, wo mit dem Kult der Haute Cuisine nicht im besten Sinne abgerechnet wird. In der Filmzeitschrift epd Film schreibt Kai Mihm, dass „von der selbstherrlichen Großkritikerin über die neureichen Prestige-Esser bis zum prätentiösen Supernerd sämtliche Gast-Archetypen punktgenau karikiert“ würden. Wie treffend!

Augenschmäuse

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Ich lese noch schnell das Interview von Peter Sloterdijk, das wieder einmal – wie so oft bei intellektuellen Wendehälsen – nicht Fisch und nicht Fleisch ist. Es ist auch typisch für die Gegend hier, dass Sloterdijk als Hauptredner einer pseudointellektuellen, parteipolitischen Veranstaltung eingeladen wird. (Ich erinnere mich an das Buch von Klaus Weber (Hrsg.), Sloterdijk – Aristokratisches Mittelmaß und zynische Dekadenz. Gestalten der Faschisierung 1 (2022), das genau in diesem Sinne polarisiert, wie es zur Zeit der Zeitgeist vorgibt und dass ich endlich das Buch von Dietmar Daths, Die Abschaffung der Arten lesen möchte, hier vermerkt gegen meine eigene Vergesslichkeit.) Die Apokalypse werde uns enttäuschen, weiß Sloterdijk prophetisch, da sie kein einziges Großereignis produzieren wolle, dass die Maßlosigkeit unter der Maxime „Alles geht“ zu einer realen energetischen Entgrenzung führen soll, hat mir zumindest das vergangene Pfingstwochenende vor Augen geführt.

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Anlässlich eines inspirierenden Konzertbesuchs Anfang Mai Musik von Mick Harvey und Amanda Acevedo „Love is a battlefield

 

Frau Krautundrübe

 

 

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