Das Arbeiten und das Socialisen bringen mich gerade an meine Grenzen, aber nützt nichts, da muss ich durch. Meine Aufnahmefähigkeit ist dermaßen strapaziert, dass ich oft nicht mehr weiß, wer mir was erzählt hat. Jedenfalls hat sich für das Wochenende die Krautundrübenschwester angesagt. Wir treffen uns in der Innenstadt. Auffallend viele Menschen wälzen sich durch die Straßen, davor bereits Staus, Schienenersatzverkehr, überfüllte Bims, was mich für diesen Freitag überrascht. Ich verabrede mich mit der Krautundrübenschwester in einer Boutique am Marienplatz, was mir im Augenblick des Wiedersehens unpassend erscheint, da wir uns schon seit Monaten nicht mehr gesehen haben und ich sie noch gerne einen Moment länger gedrückt hätte. Egal, nach einem kurzen prüfenden Blick der Krautundrübenschwester sind wir bereits am Suchen, Probieren, Aussortieren von Pullis, Blusen und Hosen, als ob es nichts Wichtigeres gibt. Das tut nach dieser sehr „akademischen“ Arbeitswoche mit vielen Vorträgen von jungen, eher spaßbefreiten, da der Situation geschuldeten „Vielleicht-Professor:innen“ sehr gut. Wir drängen uns jedenfalls in weitere Boutiquen, probieren Hosen und Kleider. Erst an der Kassa beim Bezahlen eines Pullovers, der um einiges billiger ist, als angeschrieben, wird mir bewusst, dass das wohl am Black Friday liege, an dem man tatsächlich stark verbilligt einkaufen kann, und – ja, ja, ja – deshalb auch die vielen Menschen in der Innenstadt sind.
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Mein Kopf wird mehr und mehr frei von der Arbeit. Überall erstrahlt die Weihnachtsbeleuchtung, auf den Plätzen reihen sich die Holzhüttchen mit den Pseudo-Kunsthandwerkwaren. Dieses Jahr scheinen Räucherschalen groß im Rennen zu sein. Das erste Adventwochenende ist nun auch für mich angebrochen. Ich trinke mit der Krautundrübenschwester einen Orangenpunsch mit Alkohol. Nachdem der Punsch eher nach einem warmen, sehr süßen Orangensaft schmeckt, versuche ich es mit einem Glühwein, der mich schließlich in eine angenehme Mattigkeit versetzt. Ich denke gleichgültig an das ärgerliche Mail, das ich kurz vor Arbeitsende noch gelesen habe, ich werde nicht darauf antworten. Ich versuche mit der Krautundrübenschwester über Belangloses zu sprechen, indem ich sie nach dem Tinder-Freund einer Freundin frage, der viel Geld hat und der Freundin alle Urlaube bezahlt, obwohl er ein Darf-Man-Das-Einfach-So-Sagen? -Trottel ist. Danach überlege ich hart, wer mir zuletzt sagte, dass sie Single bleiben wird und auch nicht mehr vorhabe sich zu binden, was eigentlich relativ bedeutungslos wäre, würde mich das Nicht-Erinnern-Von-Wem nicht so quälen.
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Nachdem die Krautunrübenschwester heute abgefahren ist, besorge ich einen Adventkranz. Kerzen sind nur mehr schwer zu bekommen. Ich bereue, dass ich nicht schon vor einigen Wochen zugegriffen habe, sodass ich nun die letzten verfügbaren weißen Adventkerzen nehmen muss, die auf dem Adventkranz viel zu groß aussehen. Egal, beim Nachhausefahren höre ich auf Ö1, dem österreichischen Kultursender, eine Sendung über Nestroy. Gelesen wird das Hörspiel von Michael Niavariani, der seinen persönlichen Nestroy nach dem Motto „Ich glaube von jedem Menschen das Schlechteste, selbst von mir, und ich habe mich noch selten getäuscht“ (J. N. Nestroy, 1801-1862). Es fällt das Wort „Frauenzimmer“, und ich denke sofort an „Weibsbild“. Ich überlege, ob Frauenzimmer oder Weibsbilder auch Luder oder Besen sind. Eigentlich nicht. Obwohl Frauenzimmer nur mehr sehr wenig mit ihrer ursprünglichen mittelalterlichen Bedeutung gemein haben, sind sie nicht per se negativ konnotiert, aber auch nicht positiv. Hm, was jetzt eigentlich? Doch nur hold und tugendhaft, wie das Sabinchen in „Sabinchen war ein Frauenzimmer„?
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Es mag vielleicht kein Zufall sein, dass „Von einem Frauenzimmer“ von Christiane Karoline Schlegel, einer deutschen Schriftstellerin, die 1739 in Dresden geboren ist, im letzten Jahr in Graz am Schauspielhaus 245 Jahre nach seiner Entstehung uraufgeführt wurde und sogleich mit dem Nestroy-Preis am 24.11.2024 in der Kategorie Beste Bundesländer-Aufführung unter der Regie von Anne Lenk ausgezeichnet wurde.
Heute zum Frühstück gehört: Carmen Consoli Tutto Su Eva
Frau Krautundrübe