Das war es jetzt wohl vorerst mit dem Süden für dieses Jahr. Gerade zurück aus Athen und wieder im heimatlichen bunten Herbst gelandet, bin ich zufrieden mit dem Sosein. Während ich hier tippe, habe ich den Geruch von frischer Wolle in der Nase. Die dünne Decke mit den kräftigen Farben hing versteckt in einer schmalen Gasse in der Athener Innenstadt in dem Laden mit den vielen Devotionalien. Der Stoff ist fein gewebt und auf dem Etikett steht Authentiko Made in Greece. Ich schnuppere an dem Stoff und zweifle nicht an der Herkunft. Die Decke ist auf dem Esstisch gelandet und macht sich dort gut.
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Es führt mich immer wieder nach Athen, wo ich seit den 1990er-Jahren schon viele Monate verbracht habe. Immer verschlägt es mich in die Exarchia, einer für Tourist:innen und Besucher:innen nicht so beachteten Gegend. Ich lande dort, da das Institut, in dem ich in Athen arbeite und auch wohne, in genau diesem Viertel liegt. Ich bin daran gewöhnt, seit ich 1991 und 1992 erstmals im Rahmen meines Studiums dorthin kam. In meiner Erinnerung war damals die Platia bevölkert von vielen friedlichen, zotteligen Langhaarmenschen. Das liegt wohl auch daran, dass die Gegend seit den 1970er-Jahren das Zentrum der antifaschistischen Szene ist. Seinen Namen hat die Exarchia von einem Lebensmittelhändler mit dem Namen Exarchos, der 1880 dort seinen Laden errichtete. Bereits in den 1950er Jahren brachen dort erste, von Studierenden angeführte Unruhen aus, einen Höhepunkt erreichten die Aufstände 1973, als sich 15.000 Studierende und Arbeiter im Nahe gelegenen Polytechnion verschanzten, um gegen die Militärjunta zu demonstrieren und mehr Rechte einzufordern. Der Aufstand wurde von den griechischen Militärs mit einem Aufgebot von Panzern nieder geschlagen. Seitdem werden in der Exarchia immer mehr Zeichen des Widerstandes gesetzt und Demonstrationen veranstaltet, was ihr auch den entsprechenden Ruf einbringt und das nicht ohne Grund, bekam ich schon selbst mehrmals vollkommen unverschuldet am hellichten Vormittag Tränengas ab.
Diese Demonstrationen, die nicht immer friedlich ablaufen, enden durchaus tragisch, wie der Tod eines 15-Jährigen im Jahr 2008 belegt, der von der Polizei erschossen wurde und zu weiterem Widerstand veranlasste.
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Dieser Spirit hält sich lange in der Exarchia. Neben Buch- und Schreibwarenhandlungen sowie Copy-Shops prägen zahlreiche Cafés, Tavernen, Bars und Kioske das Straßenbild. Die renovierungsbedürftigen Häuser erhalten durch Graffitis einen besonderen Flair. Im Laufe der Zeit ließen sich aufgrund der vermehrt angesiedelten Universitätsinstitute in der Gegend viele junge Menschen nieder, trotzdem bleibt sie auch immer noch der Hotspot für Widerständler und zunehmend auch Drogendealer. Diesem Treiben begegnet die Polizei zunehmend mit Tränengas und Verhaftungen, die Antwort sind weitere Unruhen.
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Nicht schlecht staune ich deshalb, als ich dieser Tage eine vollkommen mit Bauplatten verriegelte und umzäunter Platia vorfinde, die streng von einem beachtlichen Haufen von Polizisten einer speziellen Einheit bewacht wird. Was ist denn hier geschehen? Ich spaziere einmal um den eingezäunten Platz, um den sich viele neue hippe Cafes aneinander reihen. Junge hippe Menschen sitzen mit ihren Laptops und schicker Mode bei einem Iced Coffee (Frappe war einmal!) oder holen sich einen Coffee to Go. Neben dem Griechischen ist Englisch die häufigste Sprache, die man hört. Viele Wohnungen wurden adaptiert oder werden über Airbnb vermietet. Die Preise sind mittlerweile für Einheimische unerschwinglich, weshalb sich vermehrt Ausländer:innen hier ansiedeln. Außerdem soll der Platz an das Metro-Netz angeschlossen werden, um die Gegend touristisch aufzuwerten, weshalb der Platz durch Bauzäune abgesperrt ist. Die Polizei bewacht den Zaun gegen Klimaaktivisten und andere Widerständler, die sich noch ein wenig Grün und Identität bewahren möchten. Das Rad dreht sich weiter, gut so.
Frau Krautundrübe