Der Pride-Monat ist mit Ende Juni offenbar vorbei. Wobei ich eigentlich nur aus den Medien weiß, dass es einen Pride-Monat gibt, indem vor allem von den Paraden berichtet wird mit Hinguckbildern von vielen jungen bunten Menschen. Ich recherchiere ein wenig und weiß nun auch, dass der Pride-Monat von der LGBTQI+ – Community für den Juni ausgerufen wird. Er steht für den Gedenkmonat für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender (auch noch Queere und Intergeschlechtliche) – und für die Geschichte, die Kultur und die Beiträge dieser Menschen und ihrer Gemeinschaften.
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An die All-Gender-Toilette an der Uni in dem Gebäude, in dem ich arbeite, habe ich mich bereits gewöhnt. Anfangs war es ungewohnt in der Toilette mit Männern den Händewaschtisch zu teilen, was sich mittlerweile gegeben hat. Nun werden All-Gender-Toiletten auch an verschiedenen Schulen angedacht, da sich die Zahl der Schüler:innen mehrt, die „divers“ als Geschlecht angeben (oder nicht-binär* oder genderqueer*). Es ist traurig, dass Menschen, die ein nicht-konservativ-geschlechtliches Leben führen, noch immer Diskriminierung ausgesetzt sind und für Anerkennung und Toleranz kämpfen müssen.
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Der Pride-Monat und seine Berichte darüber sind für mich stets mit neuen Buchstabenkombinationen, Abkürzungen und Wortkreationen verbunden. Da staune ich gestern beim Frau-Krautundrüben-Frühstück nicht schlecht, als ich in meiner sehr geschätzten Print-Wochenendausgabe unter der Rubrik „Das beste zum Wochenende“ über das „Sterrrn Fest“ lese, das im Rahmen des Pride-Monats als queerfeministisches Fest beworben wird, ein Musikfest, bei dem die Bühne allen außer den Cis-Männern gehört. Ich google nach „Cis-Mann“ und bekomme die eh schon vermutete Erklärung, dass man sich mit dem von außen zugeschriebenen Geschlecht identifiziert. Wirst du beispielsweise als Mann wahrgenommen und siehst dich auch selbst so, dann bist du cis*, dasselbe gilt selbstverständlich auch für Cis-Frauen. Das Bestreben des Sterrrn Festes (- Sterrrn wegen des Gender-Sternchens) ist eine Erhöhung der Quote der FINTA*-Personen (Frauen, Intersexuelle, Nichtbinäre, Transgender, Agender) im Musikbusiness und setzt den Fokus auf die Unterrepräsentation der Frauen bei herkömmlichen Konzertveranstaltungen und Festivals. Ich finde es schade, dass sich Frauen noch immer derartig geringgeschätzt fühlen, dass ein Festival erfunden werden muss, wo Cis-Männern einzig die Rolle der Zuschauer erlaubt wird.
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Ist nun aber der starke Zulauf der LGBTQI+ – Community nicht auch dem Streben nach Selbstverwirklichung geschuldet, die heutzutage jede/r für sich beansprucht. Solange es nicht in einen Bulk von narzisstischen Eigenliebenden mündet, ist ihnen meine Unterstützung gewiss. Dass sich nicht jede/r in seiner „Haut“ wohlfühlt und vor allem durch den Support der LGBTQI+ – Community in seiner Selbstfindungsphase gestärkt wird, ist beruhigend. Zum Sonntagsfrühstück lese ich einen Essay des Philosophen und Publizisten Peter Strasser (Kleine Zeitung, 2. Juli 2023, Stress mit sich selbst, S. 72 f.), der in puncto Selbstverwirklichung auf den Humanismus und in diesem Zusammenhang auf Aristoteles verweist, wo persönliche Begabungen und Schwächen der Ausdruck eines dem Individuum eingeprägten Entwicklungsplanes seien. Demnach hat jeder Mensch Anlagen in sich, die vorbestimmt sind und auf ihre bestmögliche Entwicklung warten. Selbstverwirklichung bedeutet hier, dass Werte, die in der Psyche angelegt sind, durch eigenständige Aktivitäten realisiert werden können. Das aber widerspricht entschieden den Werten der heutigen Zeit, wo menschliche Natur als wertneutrales Modell verstanden wird. Nun wissen wir aus humanbiologischen Untersuchungen, dass diese Werte nicht fest sind, sondern durchaus veränderbar. Dadurch ist ein Handlungsspielraum für die menschliche Natur geschaffen, der Starre ausschließt und Raum für Entwicklungsfreiheiten gibt. Demnach stehen jedem Menschen unzählige Möglichkeiten offen, der zu werden, der er sein will, aber wie soll der Mensch nun erkennen, welche Persönlichkeit nun seiner Anlage am besten gerecht wird? In diesen Möglichkeiten, die wir unter dem Mäntelchen der Selbstverwirklichung führen, eröffnet sich nun ein breites Feld an unterschiedlichen Moden und Lebensstilen, denen wir in unserer „Selbstfindungsreise“ begegnen. Dazu zählt neuerdings auch die geschlechterspezifische Wahrnehmung von Menschen, die medizinisch keiner Transgender-Person entsprechen. Gerade hier setzt der Pride-Monat an: Um den Menschen ihre Selbstfindungsreise zu ermöglichen, und damit sie nicht zu narzisstischen Eigenliebenden verkommen müssen, soll unser Ziel ein gesellschaftlicher Konsens hin zum Gemeinschaftssinn werden, wo sich meinetwegen Cis-Männer gemeinsam mit FINTA* Personen wie selbstverständlich auf der Bühne treffen, um Musik zu machen. Zum Schutz des Gemeinschaftssinnes und der gesellschaftlichen Einigkeit sind deshalb unser aller Akzeptanz und Toleranz erforderlich.
Von Frau Krautundrübe, die sich in die Sommerpause verabschiedet.