Die Bilder der letzten Wochen über Krieg, Zerstörung und Flucht prägten sich tief ein, obwohl ich versuchte, Bilder aus den Medien zu meiden. Vor allem die vielen Frauen und die vielen kleinen Kinder an der polnisch-ukrainischen Grenze bewegten mich heftig. Wie groß muss der Schmerz sein, wenn man die Heimat verlassen muss, das gemeinsame Heim verliert, die vertraute Umgebung, Schule, Kindergarten und natürlich auch den Mann zurück lässt, um in einer ungewisse Zukunft anzukommen. Wie schnell kann es gehen und man ist selbst ein Flüchtling, heimatlos. Bei all dem Unheil, den Medien in Bildern auf unsere Bildschirme transportieren, fällt mir auf, dass dort die Jugendlichen fehlen, was natürlich daran liegen kann, dass sich Jugendliche prinzipiell in diesen Situationen nicht ablichten lassen wollen.
Auch in der Pandemie hatten die Jugendlichen eine wesentliche Rolle, indem sie polarisierten, als sie einerseits als „Spreader“ verurteilt wurden, die vulnerable Gruppen gefährdeten und die Zahlen in die Höhe trieben, und andererseits durch den gezwungenen Rückzug in die eigenen Vier-Wände auf sehr viel verzichten mussten und jegliche Unbeschwertheit beeinträchtigt war. Die Folge war eine Zunahme der psychischen Probleme und ein großer Bedarf an fachlicher Unterstützung. Gerade die Pubertierenden waren dabei unverhältnismäßig oft in der Kritik.
Zufällig las ich in der ZEIT Online vom 1. Februar 2022 einen Beitrag von Sophie Fritz „Teenager sind keine Tiere“. In diesem Artikel wehrt sich Sophie Fritz gegen den Ausdruck Pubertier und das kollektive Lustigmachen über Pubertierende, wo eigentlich nur der Leidensdruck der leidgeprüften Eltern befriedigt werden soll. Stimmt schon! Als Frau Kind 1 sich mit zwölf Jahren erstmals die Nägel schwarz lackierte und sich die Haare so machte, wie ich es gar nicht gut fand, wusste ich, es ist soweit, die Pubertät. Zu den Geburtstagen kamen Glückwunschkarten mit Sprüchen wie: „Pubertät ist, wenn die Eltern schwierig werden“, oder: „Dieser Mensch befindet sich im Moment im Umbau. Vielen Dank für Dein Verständnis!“, und natürlich „Teenager in der Pubertät – weiß alles, kann alles, immer cool, extrem reizbar“. Ob auf der Glückwunschkarte oder im Elternratgeber: Erwachsene behandeln Pubertierende mit Vorliebe als Problem oder als Witz. Wir Eltern versuchen hier zu kompensieren, was unweigerlich seinen Lauf genommen hat. Insgeheim wusste ich, dass ich keinen Einfluss auf den schwarzen Nagellack und die Frisur mehr haben würde. Es war vorbei, es würde kein zurück mehr geben – ein Cut! Die Hoffnung bestand aber, dass „es“ glimpflich vorüber ging und das jeweilige Kind sich bald wieder einkriegt. Ich erinnere mich noch an das Buch von Jesper Juul „Pubertät. Wenn Erziehen nicht mehr geht“, das 2010 erschien und damals für mich brandaktuell war. Mittlerweile ist das Buch ebenso verstaubt in einer Kiste im Keller wie die Converse auf dem Coverbild. Was ich von der Lektüre dieses Buches mitnahm, dass Jesper Juul uns Eltern sagen möchte, dass die Zeit der Erziehung mit der Kindheit endet. Die Jugendlichen aber brauchen uns in dieser für beide wichtigen Zeit vielmehr als verlässlichen Fels in der Brandung, sie brauchen eine tragfähige Beziehung, Bestätigung, Respekt und eine Menge Liebe. Wären sie immer die süßen Kleinen geblieben, würden wir uns nie voneinander trennen können. Mein Pubertier Kind 3 feierte in den letzten Tagen seinen 14. Geburtstag. Am Geburtstag gab es ein fröhliches Torteessen mit den Großeltern, die letzten drei Tage war unser Wohnzimmer zu einem Matratzenlager für sechs Jungs umfunktioniert worden. Heute zu Mittag zog das letzte Pubertier ab und es stellte sich eine zufriedene Sonntagsruhe ein. Ich erkannte, dass ich nicht mehr versuchen muss, eine positive Grundstimmung durch allerlei Maßnahmen zu erreichen, so wie das seinerzeit war, als die Kinder noch klein waren. Die Wahrnehmung, dass das Familienleben mit pubertierenden Kindern anders wird – vor allem weniger harmonisch, half mir sehr. Ich merkte nämlich, ich bin gar nicht Schuld und kann auch nichts dagegen tun.
Vielleicht sollte man Teenager nicht als Tiere sondern als Naturkraft ansehen.
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„Vielleicht zeigt sich am irritierenden Umgang mit der Pubertät am deutlichsten unsere allseitige Hilflosigkeit, Menschen durch Ausnahmesituationen hindurch zu begleiten und zu akzeptieren, dass sich diejenigen, mit denen wir in Beziehung stehen, durch diese Prozesse eventuell auch von uns distanzieren werden. Wie das gehen kann, steht eben nicht auf den Postkarten, wir lernen es nicht in der Schule und vermutlich auch nicht von den vorhergegangen, selbst traumatisierten Generationen. Deshalb ist es einfacher, sich über die Pubertät lustig zu machen, die Midlife-Crisis zu belächeln und vor der Menopause zu warnen. Wir sollten dem Spott weniger Raum geben, um die dahinterstehenden Verlustängste überhaupt wahrnehmen zu können. Problematisch sind nicht die Pubertät, die Midlife-Crisis oder die Menopause. Problematisch ist eine Gesellschaft, die Menschen nur dann eine ernst zu nehmende Subjektivität entgegenbringen möchte, wenn sie sich rational und konform verhalten“, meint Sopie Fritz in ihrem Essay Teenager sind keine Tiere.
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Gegenseitiger Respekt wird auch dem Musikgeschmack abverlangt, deshalb heute vom Rapper XXXtentacions SAD!
Frau Krautundrübe