Renaturierung auf Türkisch

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Ich habe meinen Arbeitsplatz bereits vor einigen Wochen in den Süden verlegt. Es ist tagsüber noch richtig heiß, wobei der Schatten schon angenehme Kühle spendet und die Abende und frühen Nächte noch jackenlos bleiben. Der Himmel ist ultrablau, die Sonne sticht und verursacht Kopfschmerzen. Ich lebe hier in einem kleinen Zimmer mit Bett, Tisch und Kommode in einer campartigen Anlage zusammen mit weiteren Wissenschaftlern und Student*innen.

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Dem Trubel entkomme ich, wenn ich mich für meine Arbeit in das Depot zurück ziehe, das relativ einsam in einem unbebauten, denkmalgeschützten Areal liegt. Hier in Side, an der Südküste der Türkei, begann der Tourismus bereits in den 1970er Jahren und hat kurz vor Corona seinen Höhepunkt erreicht. Die Stadt war bereits in der Antike, wohl aufgrund ihrer günstigen Lage für einen Hafen, eine Großstadt und die Reste monumentaler Bauten, wie das Theater, sind noch immer beeindruckend gut erhalten und können heute noch besichtigt werden. Die antike Stadt wurde aufgegeben und verlassen und erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts  im Zuge eines Bevölkerungsaustauschs von kretischen Siedlern wieder besiedelt.

Blick auf den alten Ortskern von Side

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Heute besteht Side an der Südküste der Türkei hauptsächlich aus riesigen Hotelbauten, vielen Bars und Geschäften. Vor allem im alten Ortskern haben sich noch typische Häuser der kretischen Siedler, kleinere Pensionen und viele Geschäfte, die bis zuletzt in Baracken untergebracht waren, erhalten. Diesen Baracken mit den vielen Kleidungsstücken mit gefakten Marken wurde seit geraumer Zeit der Garaus gemacht. Die Baracken und „illegal“ errichteten Häuser wurden abgerissen, archäologische Ausgrabungen im großen Stil wurden durchgeführt und die Häuser wurden wieder neu errichtet – im Stil der kretischen Siedler in Holz-Stein-Kombination. Dabei versucht man einerseits die antiken Mauern zu erhalten, indem man die neuen Häuser auf Stelzen errichtet oder Plexiglasplatten den Blick auf einen antiken Mosaikfußboden freigeben und andererseits den Charakter des ursprünglichen Dorfes zu erhalten. Das sieht man gut bei den kleinen Pensionen, die sehr beliebt bei Individualtourist*innen sind. Leider sind die neuen schicken Bars und Restaurants, die im alten Ortskern im Zuge der Neugestaltung mit Meerblick entstanden, sehr hochpreisig und aus diesem Grund wenig frequentiert. Langsam setzen sich auch kleinere Läden mit lokalen Speisen oder Kunsthandwerk durch.

Neu errichtetes Haus im Stil der kretischen Siedler im Ortskern von Side
Archäologische Ausgrabungen im Ortskern von Side aus dem Jahr 2022
Restaurierung und Wiederaufbau des Athenatempels in Side
Der sog. Kaisersaal aus der römischen Kaiserzeit im Archäologischen Park

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Im Ostteil von Side gibt es eine ausgedehnte Dünenlandschaft. Es handelt sich dabei um eine riesige Wanderdüne, die bis zu 10 m hoch sein kann und vom Manavgat-Fluss verursacht wird. Unter dem Sand befindet sich ein Großteil der antiken Stadt und aus den Dünen ragen auch immer wieder Mauern von antiken Bauten, die vornehmlich in die byzantische Zeit zu setzen sind. Diese weite Dünenlandschaft steht nicht nur seit jeher wegen der antiken Stadt unter Denkmalschutz, sondern ist gleichzeitig auch ein Naturschutzgebiet. Trotzdem wanderten Tourist*innen in großer Zahl durch die Dünen, um sich an der einen oder anderen antiken Mauer für einen Handyklick in Pose zu werfen, aber auch sehr viele Kulturinteressierte fanden sich in der alten Ruinenstadt ein. Seit wenigen Monaten ist die Dünenlandschaft über die Ausdehnung der antiken Stadt eingezäunt und nur von der Hauptstraße aus durch ein Eintrittshäuschen zu besuchen. Nur sehr wenige Tourist*innen und nur wirklich Interessierte finden sich in das sehr weitläufige Dünen-Ausgrabungsgelände ein, was mitunter am hochpreisigem Ticket liegen wird. Auch der Oststrand war zuletzt gesäumt von lauten Bars, die ohne Genehmigung ihre Baracken aufstellten und sich mit der Vermietung von Liegen und Sonnenschirmen ihr Geld verdienten. Auch denen wurde der Garaus gemacht. Es bleibt ein weitläufiger leerer Strand, der je nach Jahreszeit sogar gesperrt ist, um der Caretta ausreichend Platz zum Ablegen ihrer Eier zu lassen.

Blick von den Dünen in das antike Stadtgebiet
Blick auf den fast leeren Oststrand von Side
Dünen – Naturschutzgebiet

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Die Maßnahmen der letzten Jahre in Side wurden von der Gemeinde und vor allem vom türkischen Ministerium für Kultur und Tourismus veranlasst und umgesetzt. Die Einheimischen tragen das mit, wohl auch, weil sie es gewohnt sind, von oben verordnete Maßnahmen mitzutragen. Somit wurden die Geschäfte mit Fake-Kleidung – bei deren Erwerb und Einfuhr nach Europa man sich übrigens strafbar macht, stark reduziert zugunsten von Boutiquen, Läden mit lokalem Kunsthandwerk und Speisen, sowie seriösen Schmuck- und Lederwaren. Natürlich tragen und schätzen das europäische Meckertourist*innen nicht, die ihren bevorzugten Gucci-Fakeladen vermissen. (So wurden wir während meiner Arbeit mit dem türkischen Team von deutschen Tourist*innen mehrmals wüst beschimpft, wo ich mir sogar jegliche Übersetzung verkniffen habe.)

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In den Dünen wachsen nun Blühpflanzen, die ich dort noch nie gesehen habe und die nach Auskunft einer türkischen Kollegin unter Naturschutz stehen. Von den Feigenbäumen können noch die letzten Feigen geerntet werden. Da und dort blüht noch der Oleander. Es können seltene Vögel beobachtet werden. Hinter mir raschelt es und ich weiß, dass das kleine Fuchsbaby erwacht ist.

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Angesichts der Abneigung vieler Europäer*innen gegenüber Klimamaßnahmen würde ich mir auch zu Hause von Lokal- und Landespolitiker*innen mehr Mut zur Umsetzung von unpopulären Maßnahmen für den Klimaschutz und zugunsten der Renaturierung wünschen. Klimaschutz wird in Europa nur mehr von den Grünparteien verfolgt, die dafür abgewählt werden. Den anderen Parteien fehlt der Mut und sie betreiben lieber Klientelpolitik. Hier in Side, das hauptsächlich als Ort für Massentourismus bekannt ist, wird hervorragend gezeigt, wie Renaturierung und touristischer Rückbau unaufdringlich passieren kann.

 

Frau Krautundrübe

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