In letzter Zeit häufen sich Einladungen, bei denen von mir eine gewisse Expertise hinsichtlich meines Berufes erwartet wird. So wurde ich unlängst von lieben Bekannten sehr nett zu Kaffee und Kuchen eingeladen, wo sich – wohl nicht ganz zufällig – der Nachbar hinzu gesellte, um mir Fotos von hügeligen Erhebungen in seinem Wald zu zeigen, unterfüttert mit seinen Deutungen und Vermutungen hinsichtlich mittelalterlicher Wallanlagen, Kultplätzen, Gräbern etc. Ich sehe mir die Fotos an, lausche seinen Theorien, seinem Ärger über die Behörden und erkläre höflich, dass ich mich mit diesem Thema nicht befasse, der Befund mir aber auf alle Fälle interessant erscheint und ich ihn gerne an liebe Kollegen verweise, die sich mit mittelalterlichen Fluchtburgen auskennen.
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Sehr interessant war allerdings eine Einladung, der ich vor wenigen Tagen folgte. Ich wusste im Vorfeld von der esoterischen Hinwendung der Gastgeber mit starkem Interesse für die Prä-Astronautik, das aber in ihrem Fall nicht mit den Werken von Erich von Däniken in Zusammenhang steht. Es geht um einen ehemals lieben Kollegen, der sich gemeinsam mit seiner Ehefrau als fundierter Kenner von Höhlen auszeichnet. Gemeinsam mit Paläontologen der Uni Wien nahm ich als Studentin vor ewigen Zeiten an Höhlenprojekten teil und war von der Expertise des Höhlenforscher-Ehepaars sehr angetan. Nach gemeinsamen Uni-Jahren haben wir uns schließlich aus den Augen verloren. Ich nahm am Rande wahr, dass dem Höhlenforscher-Ehepaar zunehmend pseudowissenschaftliche Methoden nachgesagt wurden, dass sie keine weiteren Lehraufträge an der Uni bekamen, aber eifrig publizierten und schöne Bildbände herausgaben. Ich ging dem nicht weiter nach.
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Ich hatte wohl in den 1990er Jahren in esoterische Literatur hineingeschnuppert, indem ich z. B. das Buch „Gespräche mit Seth“ gelesen hatte, was mich zu weiterer esoterischer Literatur veranlasste. Es bot mir damals als sehr junge Frau eine Alternative zu den herkömmlichen Lehren und gewährte mir andere Sichtweisen. Irgendwann hatte ich das Esoterische aber verloren, vor allem als mich die Realität mit Kindern, Arbeit und Nestbau forderte. Als Wissenschaftlerin bin ich jetzt vollkommen „auf Schiene“, Diskussionen zu anderen Positionen spielen sich lediglich im gemeinsamen konservativen Forschungsumfeld ab.
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Als die Gastgeber das Gespräch auf das Thema leiten, zu dem sie meine Expertise wünschen, lausche ich gespannt. Ich habe im Vorfeld keine Zeit, mich mit der pseudowissenschaftlichen Literatur des Höhlenforscher-Ehepaars zu beschäftigen und weiß nur am Rande, dass es um Leben in der „Unterwelt“ geht. Ich bitte die Gastgeber schließlich um eine kurze Einführung und Zusammenfassung. Es geht um archäologische Ausgrabungen in unterirdischen Gangsystemen, fluoreszierenden Steinen und Fundmaterial, das mit der Methode der TCN-Datierung 60.000 Jahre alt sein soll. Das würde bedeuten, dass die Menschen – oder wie sie es nennen – Wesen vor 60.000 Jahren bereits über technologische Fertigkeiten verfügten, Maschinen einsetzten, die man eigentlich aus der Neuzeit zu kennen meint. Ui, das wäre tatsächlich sehr früh! Die Gastgeber führen noch weitere unterirdische Gangsysteme an, die in diese Zeitspanne datieren sollen, der Begriff „außerirdisches Leben“ wird vermieden. Ich kenne diese unterirdischen Gangsysteme, von denen die meisten mit Klöstern in Zusammenhang gebracht sind, und die in der herkömmlichen Forschung als mittelalterliche sogenannte „Erdställe“ bezeichnet werden.
Ich werde schließlich auch nach meiner Einschätzung zu Atlantis gefragt. Es fällt mir leicht, sachlich zu bleiben, bin aber zunehmend überfordert, die Waage der Höflichkeit nicht kippen zu lassen. Nach Mitternacht gehe ich schließlich nach Hause, mit einem dicken Buch in der Tasche, das ich verspreche zu lesen, um dann eine weitere Expertise abzugeben.
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Ich blättere in dem Buch und bin – natürlich – skeptisch. Die Funde sind, auch wenn sie nicht 60.000 Jahre alt wären, für den Donauraum eine Sensation, entsprechen aber prinzipiell der jungsteinzeitlichen Vinca-Kultur, die von 5400 bis 4500 vor Christus am Balkan, mit Schwerpunkt in Serbien, angesiedelt war. Die Tonfiguren – meist Frauen, bestechen durch ein dreieckiges Gesicht mit stark hervortretenden Mandelaugen, die an – ja tatsächlich – Aliens erinnern. Die herkömmliche Forschung rekonstruiert hier Masken.
Ich recherchiere noch ein wenig bei Erich von Däniken, blicke auf die Timaios-Ausgabe von Platon in meinem Bücherregal, wo Atlantis beschrieben wird, recherchiere weiter über die Auslegung der Esoteriker zu Atlantis, staune, zweifle, erschauere, ziehe meine Laufschuhe an und laufe einfach los, über Feldwege, blicke in den Himmel und mir ist, als ob ich Besuch erwarte.
* Ich zeige das Buch den Krautundrüben-Söhnen, erkläre ihnen kurz die Hintergründe, weise auf die „Alien“-Figurinen und die eingeritzten Symbole, die als Ufos gedeutet werden. Ihre Reaktion wie aus einem Mund – cringe.
*Das Beitragsbild zeigt eine Figur der Vinca-Kultur im British Museum in London, von Vinca clay figure 02 – Vinča-Kultur – Wikipedia
*Die Links führen zu den jeweiligen Wikipedia-Beiträgen, die für diese Rahmen ausreichend einen schnellen Überblick bieten.
Frau Krautundrübe