Der prognostizierte heiße Sommer zeigt sich hier nicht. Das Juliwetter ist unaufgeregt und belanglos. Viele Wolken, grauer Himmel, trotzdem Temperaturen um 25 Grad, durchaus regnerisch, aber selten sommerlich heiß. Die Arbeit geht zumindest leicht von der Hand, sie ist beinahe alternativlos. Neuerdings werden sogar die Laufschuhe ausgepackt. Es wäre perfektes Laufwetter, wäre da nicht die Sache mit der Kondition. Zumindest schaffe ich die Hälfte der Strecke von meinem langjährigen Kilometerschnitt in grottenschlechter Zeit. Man wird auch nicht jünger und das macht sich nach einer vielmonatigen Laufpause erst recht bemerkbar.
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Dass auch die Stars von früher nicht jünger werden, denke ich mir bei der morgendlichen Zeitungslektüre in einem Beitrag über das gestrige Guns N‘ Roses-Konzert in Wien. Wenige Tage davor blieb ich bei einem Bericht über das Eröffnungskonzert der Britpop-Band Oasis hängen. Beim zaghaften Nachschauen auf Youtube stelle ich fest, dass mich die Gallagher-Brüder wohl auf keines ihrer Konzerte mehr locken können, sie bleiben für mich ein 1990er-Jahre-Highlight.
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Der Wecker läutet täglich um 5.15 Uhr. Es ist wegen dem Pubertier, der seinen Ferialjob im Putztrupp der Gemeinde absolviert. Das ist zu früh und verursacht mir eine lähmende Müdigkeit bis Mittag. Der Zufall lässt mich frühmorgens von einem Vorort an der Stadtgrenze mit dem Bus zur Arbeit fahren. Der Bus ist entsprechend voll mit Kindern, die von geschäftigen Elternteilen in den Bus gesetzt werden. Sie wirken noch verschlafen und zerzaust, halten sich an ihren bunten Rucksäcken fest. Alle steigen sie bei der Schule aus, die über einen Verein stark überteuerte Ferienkurse anbietet. Ich denke an das Reitcamp, die Kajakwoche und die Kletterwoche, die die Krautundrübenkinder vorzeitig abgebrochen haben. Einzig die Zirkusschule und die Fußballcamps wurden begeistert angenommen. Dank der großelterlichen Einsätze konnten die Ferien im Krautundrübenhaus gut über die Runden gebracht werden. Auch rund um mein Büro finden sich in den Seminarräumen Kinder ein, die basteln und kneten und flechten, vor meinem Fenster sehe ich Kinder in Zweierreihen vorbeigehen. Diszipliniert und artig, am Abend werden sie von den Eltern abgeholt.
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Zu meiner Zeit waren die meisten Mütter zu Hause, zumindest bis die Kinder aus dem gröbsten Schulalter waren, oder man verbrachte ein paar Wochen bei den Großeltern. Allen Kindern ging es gleich, wir trafen uns im Hof oder auf der Straße, gingen ins Freibad, oder düsten mit unseren Puch Mini-Fahrrädern herum. Dazwischen wurde auf der Teppichklopfstange geturnt und Hüftaufschwung oder Felgunterschwung geübt, Rollschuhe gefahren, Gummihüpfen und Tempelhüpfen waren stets aktuell. Es gab Geheimnisse, Streiche, erste Küsse und natürlich auch Streit und schimpfende Erwachsene. Immer versuchte man nach der vereinbarten Heimkomm-Zeit noch der Mama eine Stunde herauszuschinden. Das würde ich den artigen und disziplinierten Kindern, die brav ihre Ferienkurse absolvieren auch wünschen. Draußen sein, mit all der Unbeschwertheit, die so ein Ferientag nur hergeben kann.
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Als ich von der Arbeit heimkomme, treffe ich auf einen müden Pubertier. Er beginnt zwar um 6 Uhr morgens zu arbeiten, dafür endet sein Dienst um zwei Uhr mittags. Sein Interrail-Ticket hat er sich längst verdient. Bevor wir uns in den Abend verstreuen, frage ich ihn gespannt nach seiner besten Ferienerinnerung als Kind. Ich erwarte mir, dass er von unseren Urlauben schwärmt oder von den Besuchen bei den Omas und Opas, aber prompt kommt seine Antwort und fällt auf die Ferienkurswoche in der Schule, wo heute alle Kinder aus dem Bus hinströmten. Er meint, dass das dort so toll war und so lustig und er konnte endlich an einer Felswand klettern und bedauert, dass ich ihm damals keine zweite Kurs-Woche bezahlt hatte. Ich bin überrascht. Mit einem fragenden Blick ob meiner Verdutztheit verlässt der Pubertier den Raum und meint: „Es war das Beste!“
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Was ich heute gelernt habe, dass das Verklären der Zeit offenbar nicht erst beginnt, wenn man alt wird und dass einem das Verklärte niemand so einfach nehmen kann. Oder? Grübel.
Frau Krautundrübe