Wie die Digitalisierung unseren Alltag nicht erleichtert

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Ich habe mückenfrei, bei weit geöffnetem Fenster und angenehmer Kühle gut geschlafen. Das Insektennetz hat gehalten. Es ist nach dem Gebimmel der Kirchenglocken bereits nach 7 Uhr am Morgen, als ich motiviert aufstehe. Ich habe mir ein straffes Tagesprogramm auferlegt und möchte möglichst früh bei der Arbeit sein. Durch das Dachfenster im Badezimmer sehe ich einen dunstig-blauen, wolkenlosen Himmel. Ein weiterer herrlicher Sommertag kündigt sich an. Ich schließe die Türe zum Zimmer, wo der Krautundrüben-Sohn bei weit geöffnetem Fenster auf Durchzug hoffend schläft. Davor ziehe ich aber noch die Vorhänge zu, damit er lange und gut weiterschlafen kann. Ich finde noch immer, dass man schlafende Kinder nicht wecken soll, allerdings hinterfrage ich mich schnell, nachdem ich in der Küche den Saustall sehe, den die beiden Krautundrüben-Söhne nächtens hinterlassen haben. Ich freue mich immer sehr auf einen Besuch des Krautundrüben-Sohnes, weil er so viel redet, zumindest am 1. Tag seines Zuhause-Ankommens redet er viel, danach verfällt er inspiriert vom Pubertier in Schweigen mit dem Standardsatz ‘Ich-kann-jetzt-gerade-nicht!’, wenn man ihn anspricht. Ich räume das Geschirr weg, putze die Essensreste von der Anrichte, wobei mir klar ist, dass ich den pädagogischen Merksatz des Konsequentseins – nämlich die lieben Schlafenden aufzuwecken und zum Küchendienst abzukommandieren – zum soviel Hundertstenmal nicht befolge. Ich trinke noch eine Tasse Kaffee und lese in der Zeitung einen Bericht über die Diskriminierung älterer und bedürftiger Personen hinsichtlich der Digitalisierung, die viele vor allem im Bankwesen spüren, da für jede Aktivität, die am Schalter ausgeführt wird, sofern der Bankschalter überhaupt besetzt ist, zusätzliche Spesen berechnet werden. Das ist ja wirklich frech und noch frecher ist es, dass wir mit dem Online-Banking den Bankbeamt*innen viel Arbeit abnehmen und dafür immer mehr an Bankspesen zahlen. Als Mitten im Leben stehend sind schaffnerlose Züge und Straßenbahnen, Self-Checkout-Kassen im Supermarkt und Geister-Bankfilialen schon zur Normalität geworden und ich betrachte sie auch tatsächlich als Fortschritt. Die Digitalisierung ist schließlich wichtig, sie lässt sich nicht mehr aufhalten und dringt in all unsere Lebensbereiche vor – oder auch nicht?

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Ich komme jedenfalls verspätet zur Arbeit, wo ich für meine Studierenden den digitalen Reiseantrag stelle, da sie das selbst nicht schaffen. Um nämlich in das System des Reiseworkflows zu kommen, muss man sich 3x mit drei unterschiedlichen Passwörtern einloggen, um dann an verschiedenen Eingaben zu scheitern. Nachdem ich sehr reiseantragserprobt bin, schaffe ich es in 15 Minuten pro Studierende, inklusive Dankesmail an den Fördergeber, den digitalen Reiseantrag zu stellen. Nach einer Stunde haben wir es geschafft, ich gehe in mein Büro, um die angelegten Reisen zu genehmigen. Ja, ich hätte den Studierenden die digitale Antragstellung 1x erklären können mit dem Ergebnis, dass sie es dann selbst üben und lernen, schließlich erfuhren sie keine 4-stündige Einführung in die digitale Antragstellung von Reisen an der Universität.

*Meine pädagogische Offensive ist heute offenbar nicht sehr ausgeprägt.

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Andererseits möchte der Krautundrüben-Sohn ein Zusatz-Studium inskribieren. Zu meiner Zeit ging man an den Schalter, brachte sein Anliegen vor und erhielt ein neues Studienblatt für das Studienbuch. Vor nicht allzu langer Zeit konnte man ein zusätzliches Studium durch Anklicken des Studiums sehr einfach digital hinzufügen. Neuerdings schreibt man wieder ein Mail an die Studienabteilung mit der Bitte um ein Hinzufügen des zusätzlichen Studiums. Auf ein Bestätigungsmail wartet man vergeblich und Ansprechperson, die man fragen könnte, ob und bis wann das Mail bearbeitet wird bzw. wie die Information über die Bearbeitung erfolgt, ist nicht angeführt. Es bleibt spannend!

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Die Nicht-Digitalisierung macht sich im heutigen Tagesverlauf ungeplant auch bei den restlichen Krautundrübenkindern bemerkbar. Der Krautundrüben-Tochter benötigt nach dem Diebstahl ihrer Tasche, in der sich der Führerschein befand, möglichst schnell einen neuen Führerschein wegen einer Auslandsreise. Die viel gepriesene ID-Austria-App versagt wiederholt und ein Termin zur behördlichen Vorsprache ist erst in 6 Wochen möglich.

Ähnliches beim Pubertier, der seine Jugend-Vorteilscard wo auch immer verloren hat und erst in einem Monat Anspruch auf eine neue Karte hat.

Exemplarisch die Auskunft von der ÖBB für den Stand der Digitalisierung in Österreich:

Bitte melden Sie den Verlust oder Diebstahl Ihrer Karte umgehend mit einer Anzeige bei der zuständigen Behörde. Mit dem erhaltenen Nachweis (z.B. Diebstahlsanzeige) wenden Sie sich bitte an einen ÖBB Ticketschalter (Standorte und Öffnungszeiten finden Sie in der Bahnhofsinformation). Ihre Karte wird gesperrt und Sie erhalten gegen eine Servicegebühr in Höhe von € 15,-, siehe Handbuch, Punkt  E.1.13., eine Ersatzkarte.

 

Frau Krautundrübe

 

 

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