Mein Sommer beginnt seit mehreren Jahren mit meiner Arbeitserlaubnis für die Türkei. Das ist stets mit einer Prozedur verbunden, die sowohl meinen zeitlichen als auch emotionalen Rahmen beansprucht. In jedem Vorkalenderjahr muss ein Antrag an die türkische Regierung gestellt werden, um eine Forschungserlaubnis im nachfolgendem Kalenderjahr zu bekommen. Diese Ansuchen müssen pünktlich vor dem neuen Jahr mit einem Einladungsschreiben der türkischen Institution an die türkische Botschaft gesendet werden, was meist ohne Probleme abläuft. Spannend wird es, schließlich, ob die Anträge überhaupt bearbeitet werden, was oft von der diplomatischen Beziehung der beiden Länder abhängt, sodass zwischendurch die Forschungstätigkeit in den vergangenen Jahren auch wegen diplomatischer Unstimmigkeiten nicht durchgeführt werden konnte, was von Forschungsbeteiligten beider betroffener Ländern stets sehr schmerzlich wahrgenommen wurde.
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In diesem Jahr scheinen politische Unstimmigkeiten nicht evident zu sein, weshalb ich mich relativ entspannt morgens mit dem Zug um 5.14 Uhr auf den Weg nach Wien mache, um mir mein Forschungsvisum abzuholen. Am Bahnsteig staune ich, wie viele Menschen frühmorgens unterwegs sind. Der Zug ist bereits sehr gut gefüllt, sodass die Aussicht auf das vielbeworbene „Arbeiten-im-Zug“ vollkommen unrealistisch erscheint. Der Zug ist voll und ich sitze mit meinem Rucksack und Laptop, die ich fest umklammere, eingezwängt neben einem sehr großen Mann, der sich auf seinem Handy über zwei Stunden lang Simulationen von geometrischen Körpern ansieht. Am Bahnhof in Wien organisiere ich mir Öffi-Tickets, tauche in die Menschenmenge ein, was ich sehr mag, und freue mich auf den bevorstehenden Sommer.
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An der Abwicklung der Visumsanträge wird jedes Jahr eine Änderung vorgenommen. Prinzipiell ging es immer über das türkische Generalkonsulat in der Hietzinger Hauptstraße, wo man noch vor einigen Jahren ziemlich unkompliziert ein Forschungsvisum erstand. Das wurde mit einem digitalen Terminsystem verkompliziert, indem Termine zur Einreichung der Unterlagen für das Forschungsvisum erst nach dem jeweiligen geplanten Aufenthalt in der Türkei möglich waren. Insofern verläuft die Abwicklung heute im Visa-for-Turkey-Antragszentrum im 18. Währinger Gemeindebezirk höchst einfach, abgesehen davon, dass das türkische Außenministerium die Ekib listesi, also die Teilnehmerliste noch nicht bearbeitet und freigegeben hat, aber es sind auch die Bayram-Feiertage, die hier dankenswerterweise verarbeitet werden.
Das türkische Außenministerium gibt nach einiger Zeit die Liste frei, sodass mich der nette Angestellte mit einem Kuvert, das die Visumsunterlagen enthält, zur Endausfertigung an das türkische Generalkonsulat in die Hietzinger Hauptstraße verweist, was aber erst am Nachmittag möglich ist, womit ich mich zur Überbrückung der Zeit zu Fuß durch den 18. Bezirk – Währing – auf den Weg mache und am netten Johann-Nepomuk-Vogl Platz ein verspätetes kleines Frühstück einnehme.
Ich begebe mich durch die Kreuzgasse in Richtung Gürtel, bestaune die schönen Häuser und die gediegenen Geschäfte, die sich hier gar nicht aufdrängen. Links am AKH vorbei kreuze ich den Gürtel, bestaune die grüngestrichene metallene Brückenkonstruktion der U6 und bin auch schon im 9. Bezirk – Alsergrund, vor mir die Volksoper, die ich erstmals bewusst wahrnehme, da ich sie immer im Volkstheater verortet habe. Je näher ich zu den Universitätsinstituten komme, umso dichter wird das Treiben. Aufgrund des schönen Wetters ist der Park vor der Votivkirche gut besucht von jungen Menschen, die sich auch nach einem vielleicht anstrengendem Semester auf die bevorstehenden Sommertage freuen.
Vorbei am Schottentor und durch die Schottengasse gelange ich in den 1. Bezirk, wo ich mich nach dem Palais Ferstel in Richtung Albertina halte. Die strahlend schönen Gebäude werden von staunenden Tourist:innen geknipst, da kreuzt auch noch ein Fiaker den Platz vor der spanischen Hofreitschule, die Begeisterung ist groß.
Vorbei an der Wiener Staatsoper begebe ich mich in Richtung Karlskirche. Am Karlsplatz findet ebenfalls reges Treiben statt, die Menschen sitzen auf den Bänken oder liegen im Gras, eine Gruppe applaudiert vor einer kleinen Theater-Impro-Bühne. Da der Fußweg nach Hietzing zu weit ist, entschließe ich mich doch für die U4, wo ich direkt in Hietzing aussteigen kann und zwecks Zeitüberbrückung direkt ein Kaffee ansteuere, wo ich unter Kastanienbäumen einen schattigen Tisch ergattere. Der nette Kellner bringt mir Kaffee und Soda. Ich beobachte die sehr gepflegt aussehenden, älteren Damen, die sich hier zum Kaffeetratsch treffen, schreibe noch kurz mit der Krautundrüben-Tochter, da sich ein Treffen nicht ausgeht, wundere mich nicht über die stattlichen Preise und mache mich auf den Weg zum türkischen Konsulat. Dort ist die Ausstellung eines Visums wieder ein nicht nachvollziehbares Hinundher, bis ich schließlich den schönen Visumseintrag in meinem Reisepass erhalte. Aber trotzdem, Wien ist wirklich eine sehr schöne Stadt!
Michael Niavarani: Wienerlied aus dem Orient
Frau Krautundrübe