Die Zugfahrt nach Regensburg verläuft mehrheitlich angenehm, nachdem ich über die Streckenführung versuche hinweg zu sehen. Die Fahrt nach Wien über den Semmering gewährt willkommenen blauen Himmel, nachdem die letzten Tage sehr grau und nebelverhangen waren. In Wien viel Trubel am Bahnhof. Ich finde schnell den Intercity Zug, eigentlich ein ICE, ein Intercity Express, und steige ein. Ich wälze mich durch den Zug auf der Suche nach meinem reservierten Sitzplatz, wobei die Sitzplatznummer mit der Wagennummer nicht übereinstimmt. Ich wälze mich in die andere Richtung, andere Passagiere wälzen sich mit mir oder kommen mir entgegen, als endlich eine Bedienstete-Zugdame aus ihrem Zugversteck auftaucht. Sie wird in der Tat überfallen mit Fragen nach den Wagons und den reservierten Plätzen, bis wir erfahren, dass der Zug zweigeteilt ist und wir Suchenden uns im Zug nach Passau befinden. Ich setze mich auf einen der vielen leeren Plätze im Großraumwagen, die keine Reservierung anzeigen, sehr entspannt und entschlossen in Passau den Zug in Richtung Berlin zu wechseln.
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Das Draußen bereitet dem November alle Ehre. Es ist tiefgrauer Nebel, nur die grünen Wiesen und abgeernteten Felder fliegen vorbei. Da und dort ist die Silhouette eines Dorfes zu sehen. Der Zugwagen ist wenig belegt, vor mir sitzen zwei Damen, aus deren Gespräch ich erfahre, dass sie bis nach Nürnberg fahren würden und ebenfalls den Zug wechseln müssen. Ich sehe durch den Spalt, der sich zwischen den beiden Sitzen vor mir öffnet, dass beide Damen mit ihrem Handy beschäftigt sind. Ich sehe, dass die eine Dame sehr passioniert ihre Instagram-Neuigkeiten durchscrollt. Sie bleibt bei einem braungebrannten Mann auf einem blitzweißen Segelboot auf tiefblauem Himmel stehen und kommentiert zu ihrer Nachbarin. Anschließend trudeln Whats-App-Nachrichten mit Fotos auf das Handy der Dame ein, die ihr Interesse zusätzlich wecken. Ein Filmchen zeigt Kleinkinder, die mit Bobby-Cars und Kindertraktoren auf einer Wiese tollen. Die Dame freut sich und zeigt die Bilder ihrer Mitreisenden. Die beiden Damen sind um die Siebzig. Über die dreistündige Fahrt bis Passau sind sie vorwiegend und begeistert mit ihren Social Media Accounts beschäftigt. Als sie sich über schönheitschirurgische Maßnahmen einiger B-Promis unterhalten, weiß ich, dass der Lesezirkel mit Bunte, Frau im Spiegel oder Freizeit Revue Geschichte ist und von Instagram längst overruled wurde.
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Nach arbeitsreichen Tagen (Vorbereitung des Vortrags für Regensburg, Vorbereitung der Lehrveranstaltungen, Betreuung der Masterarbeiten), die ich weitgehend vor und mit meinem PC verbracht habe, freue ich mich aufs Lesen im Zug. Auf Monika Helfer wurde ich letzten Advent aufmerksam, als sie abwechselnd mit ihrem Mann Michael Köhlmeier in der Wochenendausgabe meiner Tageszeitung eine Geschichte im Advent veröffentlichte. Es waren vielleicht die kurzen Sätze und die einfache Sprache, die mich auf Monika Helfer aufmerksam machten, jedenfalls stieß ich in einer Buchhandlung bald darauf auf „Die Jungfrau“, die sich sehr leicht an einem Tag lesen ließ. Jedenfalls habe ich diesmal „Die Bagage“ im Gepäck, ein Buch mit dem Monika Helfer die deutschsprachigen „Kritiker*innen“ überzeugte. Ich beginne die Geschichte von der schönen Großmutter in einem Vorarlberger Alpental zu lesen, als ich aber bald aus meinem Lesefluss herausgerissen bin durch lauten Tumult und Durcheinander. Ich registriere verdeckte Polizei, junge Erwachsene, die die verdeckten Polizisten als solche ansprechen und einen jungen Mann in Form einer Menschenkette verteidigen, der offenbar von den Polizisten überprüft werden soll – da wir uns im österreichisch-deutschen Grenzgebiet befinden, wohl auf seinen Asylstatus hin. Nach einem heftigen Wortwechsel zwischen den Polizisten und den jungen Erwachsenen weist sich der junge Mann, der im Visier der Polizei ist, tadellos aus. Er blickt konsterniert, ich und weitere Mitreisende blicken konsterniert. Er verlässt in Plattling den Zug. Ich erreiche bald darauf Regensburg.
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Tief begeistert von Regensburg, was wohl auch am Hotel Orphée liegt. Das Hotel befindet sich mitten in der Altstadt in einer der schmalen Gassen mit den vielen kleinen Geschäften. Die Zimmer sind individuell mit gediegenen Möbel eingerichtet und sehr groß.
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Noch immer Fan von den melancholischen Songs von Frazey Ford: Purple and Brown
Frau Krautundrübe