Ambulabo

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Ich gönne mir heute einen Tag im Homeoffice. Ich denke, dass ich mir diesen Tag nach den vergangenen turbulenten Tagen verdient habe. Ich starte wie gewohnt um sieben Uhr morgens den PC, nachdem Herr Krautundrübe und der Pubertier das Haus verlassen haben. Ich stelle bald fest, dass es in meinem Arbeitszimmer, wo seit Tagen die Heizung auf Null gestellt ist, zu kalt ist, weshalb ich es mir am Esstisch bequem machen möchte. Der Platz passt mir allerdings nicht so recht. Ich beschränke mich vorerst auf die administrativen Arbeiten, die man am Esstisch mit Blick auf Küche und Wohnzimmer durchaus ausführen kann. So lege ich Prüfungstermine fest und versuche für das nächste Jahr einen ungefähren Plan zu überlegen. Das ist insofern schwierig, da es terminlich bereits festgelegte Vorhaben gibt, die ich unbedingt durchführen möchte. Dazu kommen aber auch Vorhaben, die ich durchführen muss, und die sich ebenfalls in dem bereits terminisierten Rahmen für die beliebten Vorhaben am besten anbieten würden. Ich versuche mich mit neuen Varianten anzufreunden, verschiebe schließlich die Entscheidung auf irgendwann später. Ich öffne eine Audio-Datei aus der Corona-Lockdown-Zeit von einer meiner Online-Vorlesungen, lausche über 90 Minuten meiner eigenen Stimme, wobei ich – um mich von meiner eigenen Stimme abzulenken – nebenbei die Küchenoberflächen säubere, den Geschirrspüler ausräume und die Bestecklade ordne. Ich staune, wie gut informiert ich im Jahr 2020 über ein schwieriges Thema war.

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Ich sehe einen der vielen Übungszettel des Pubertiers, der auf dem Tisch vergessen wurde. Es könnte sich um eine Hausübung handeln und ich überlege, den Zettel abzufotografieren und per WhatsApp dem Pubertier zu schicken, verwerfe den Gedanken aber ganz schnell wieder, da ich mich damit jetzt so gar nicht befassen möchte. Mein Blick fällt auf das Wort „ambulare“ und ich übersetze sofort mit „Spazieren gehen“. Ambulo – ambulas – ambulat und so weiter und das Imperfekt 1. Person Singular müsste tatsächlich „ambulabam“ heißen, sowie das Futur „ambulabo“ – ich werde Spazieren gehen, jawohl!

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Ich gehe gerne Spazieren. Ich bin bereits als Jugendliche mit meinen Freundinnen spazieren gegangen. Es war nicht üblich sich täglich zu Hause zu treffen, so ging man spazieren. Bei diesen Spaziergängen träumten wir von unseren Wolkenkuckucksheimen und besprachen allerlei für uns Wichtiges. Wir gingen meist in den Wald, saßen auf Wiesen und an Bächen. Dort konnten wir auch ungestört unsere ersten Zigaretten rauchen und eine Flasche Rotwein trinken. Wir gingen aber auch sehr oft zu Fuß zur Schule und verzichteten auf den Autobus, weil wir einfach gerne gingen. Ich gehe jedenfalls seit meiner frühen Jugend noch immer gerne. Ich bin sozusagen eine Geherin, eine Spaziergängerin. Bei meinen Spaziergängen beobachte ich wenig. So geht es mir dabei nicht um ein besonderes Naturerlebnis oder Stadterlebnis, das spielt meistens eine untergeordnete Rolle, vielmehr geht es um das sich Verinnerlichen, das mir beim Gehen besonders gut gelingt. Ich gehe meistens alleine, weil es sich so ergibt. Ich mag aber auch gerne Spaziergänge zu zweit, bei denen es sich oft leicht redet.  Der Gedanke ans Weitgehen baut mich auf. Ich denke mir dabei, wenn gar nichts mehr geht, dann gehe ich einfach los. Ich brauche auch keine Anleitungen, wie man richtig geht, oder gar Schrittzähler – wie beim Walken zum Beispiel. Ich sehe Damen unterschiedlichen Alters vor meinem Fenster vorbei „walken“. Sie schwingen die langen Stöcke, gekleidet in den passenden Sportklamotten für Walkerinnen, sind aber meist gut gelaunt und es scheint Spaß zu machen. Manche haben Stöpsel in den Ohren, sie hören Podcasts oder Musik, die eigens für Walkerinnen zusammen gestellt werden. Warum soll sich die Wirtschaft nicht auch an den Geher*innen bedienen? Solange es der Volksgesundheit dient, soll es mir recht sein. In diesem Sinne gehe ich jetzt eine Runde spazieren, oder wie das lateinische Wort so schön ausdrückt: ambulabo.

 

Frau Krautundrüben

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