Gefühlt lebe und denke ich noch immer in Schuljahren. Der richtige Jahreswechsel besteht für mich nur auf dem Kalender. Alle Jahre beende ich das Jahr mit Schulschluss oder Semesterschluss. Der strukturierte Ablauf ist damit zu Ende, der Zeitdruck fällt weg, Entspannung und Erleichterung setzen ein, Ungeplantes hat Platz, Durchschnaufen, ein paar Wochen auf sich zukommen lassen, vor allem alles kommen lassen.
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Ich sitze im Auto zur Arbeit. Pubertier Kind 3 erinnert mich daran, dass er Schulfest hat. Wie jedes Jahr lasse ich mich zur freiwilligen Arbeit am Schulfest einteilen. Diesmal soll ich an die Hauptkassa, um Getränke- und Essensbons zu verkaufen. Es ist bereits am frühen Morgen heiß. Ich bin kurz nach Mittag eingeteilt. Ich verschiebe in Gedanken einen Nachmittagstermin, den ich schon gerne vorbei hätte, in die nächste Woche, als mich der das Auto lenkende Herr Krautundrübe fragt, das wievielte Schulfest es nun bei mir sein wird. Meine Gedanken schweifen weit zurück, ich rechne nach und komme auf 18 Jahre, wobei die beiden letzten Jahre ausfielen, einige Jahre lang aber Feste von allen drei Kindern zu absolvieren waren. Ich fasse jedes Jahr den Entschluss, mich an den Festen durch Mitarbeit zu beteiligen. (Warum ich das mache? Ich versuche damit mein schlechtes Gewissen loszuwerden, weil ich Schule oft nicht ernst nehme.) Ich denke an die vielen Sommerfeste. Rührung steigt in mir hoch, ich versuche sie zu unterdrücken. Die Morgensonne blendet und ich setze meine Sonnenbrille auf. Tränen treten mir in die Augen. Ich konzentriere mich und versuche durch weites Öffnen der Augen, ein Übertreten der Tränenflüssigkeit über mein Unterlid zu vermeiden. Geprägt sind meine Erinnerungen von den letzten 12 Jahren Sommerfeste der Schule von Frau Kind 1, Herrn Kind 2 und Pubertier Kind 3. Alle Sommerfeste wurden bis vor zwei Jahren auch von der mir allerliebsten Mütterrunde wahrgenommen. Uns verbindet ein langer gemeinsamer Weg seit dem Kindergarten und wir hielten bis zum letzten Sommerfest kurz vor der Matura durch. Für mich war es auch immer der Abschied von Daheim für viele Wochen, da ich an einen der darauf folgenden Tage über den Sommer ins Ausland zum Arbeiten flog.
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Diesmal ist es anders. Ich verlasse mein Büro, verweile kurz im gut klimatisierten Foyer der Bibliothek, um dann durch die automatische Schiebetüre in die sommerliche Hitze zu gelangen. Ich gehe zu Fuß zur Schule, inspiziere kurz den Pavillon, wo es angeblich den besten Dürüm oder Döner gibt, gehe durch den Park auf den Haupteingang der Schule zu. Rund um den Haupteingang glitzern in der Sommerhitze hunderte von Räder und Motorroller. Ich betrete die Schule, eine unglaubliche Welle von Lärm überwältigt mich. Ich halte nach Pubertier Kind 3 Ausschau, gehe zum Sportplatz, wo kleinere Buben und Mädchen um den Sieg in einem Fußballturnier kämpfen. Ich vermisse die vertrauten Gesichter. Nach einem kurzen Blick auf die Uhr mache ich mich auf den Weg zu meinem Arbeitsplatz (In den vorigen Jahren war ich stets am Würstelstand eingeteilt.) Ich sehe einen Stand mit Kleidung mit Schullogo, ich passiere den Kuchenstand, den die nächstjährigen Maturant*innen bedienen und komme zu dem Stand, der die Hauptkasse sein könnte. (Nachdem ich noch 10 Minuten habe, frage ich eine dort sitzende Lehrerin, ob es sich hier um die Hauptkassa handle, da ich hier ab der vollen Stunde eingeteilt sei. Sie antwortete: “Na, nach was siehts denn aus hier?” – Ich bleibe bei meinem aufgesetzten, gekünstelten Lachen, das sich Lehrer*innen gegenüber stets einstellt, schmettere noch ein paar lustige und freundliche Worte nach und denke mir: “Was bist denn du für eine blöde Kuh!” Es sind in Summe schon zu viele Lehrer*innen, summa summarum schlechte Lehrer*innen, die ich in meinen 16 Mutter-Schuljahren hinter mich gebracht habe, sodass ich nicht mehr verwundert bin, mir aber ausdenke, wie die mit unseren Kindern reden…). Ich schreibe brav eine Stunde lang Bratwurst, Kotelette, Frankfurter, sowie Wasser, Limo oder Bier auf einen Abrissblock und gebe sie aus, während meine Mutter-Kollegin kassiert. Pubertier Kind 3 steht mich begeistert begrüßend mit einer Riege von Freunden vor mir, in der Hoffnung ein paar Bons geschmiert zu bekommen. Ich streife kurz die Gesichter der jungen Menschen, jeder einzigartig, anders, eigen, gerade jetzt ein Das-Leben-Ist-Doch-Schön ausstrahlend. Ich giere nach ihrem Positiv-Sein, ihrer Unbeschwertheit, ihrer Schönheit. Die Stunde an der Hauptkassa ist vorüber. Ich gönne mir ein Glas eiskaltes Wasser. Der Schulhof ist bereits sehr voll, vergeblich suche ich meine bekannten Gesichter. Ich setze mich auf eine Bank und beobachte die vielen sehr adretten Mütter in ihren bunten Sommerkleidern, sowie die auch adretten Väter in den sommerlichen Anzughosen, die sich lachend in kleinen Gruppen unterhalten. Langsam begebe ich mich zum Sportplatz, wo Pubertier Kind 3 im Ultimate-Finale steht. Höflich werden ein paar Sätze mit den schicken Klassenmüttern ausgetauscht. Ich sehe Pubertier Kind 3, wie er das Frisbee zu einem weiten Wurf abschießt.
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Ich erkenne, dass meine Schulzeit vorbei geht. Ich blicke wehmütig in die Vergangenheit, sehe ein freudestrahlendes, in einem bunten Kostüm tanzendes Frau Kind 1, sehe den zum Cup-Song trommelnden Herrn Kind 2, sehe meine vertrauten Mütter-Gesichter. Ich werde noch drei Sommerfeste besuchen und meinen Jahresabschluss im Sommer feiern. In diesem Moment spüre ich einen Hauch über meinem Kopf. Ich gehe in Deckung, schlage meine Arme um den Kopf. Erkenne Pubertier Kind 3, der in meine Richtung läuft. Er springt über mich, über meinem Kopf fängt er das Frisbee. Geschafft!
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Hart in die Ferien hineinrocken mit Korn “Another Brick in the Wall”.
Frau Krautundrübe