Geschichten von grenzenloser Liebe schreibt oft das Leben selbst, wie ich unlängst gelesen habe. In der türkischen Stadt Sinop an der Schwarzmeerküste wartet Ecevit Öküzcü seit 24 Jahren auf die Rückkehr seiner Geliebten. Der 48-jährige Mann sitzt täglich unter einem Schutzdach an der Bushaltestelle, die mittlerweile nach ihm benannt wurde als „Der Platz des verliebten Ecevit“ oder „Aşık Ecevit’in yeri“. Die Frau hatte ihn verlassen und zog nach Istanbul. Frohen Mutes hofft der mittlerweile blinde und mittellose Mann jeden Tag auf das Glück, dass seine große Liebe wieder zur Haltestelle, wo er sie das erste Mal traf, zurück kehrt.
++++
Wie stark das Verlangen nach grenzenloser Liebe sein kann, zeigt auch die Geschichte von einer Frau, die Opfer einer Betrügerin wurde, die sich als „Manfred“ ausgab und das Herz der Betrogenen via Telefon eroberte. Blind vertraute sie „Frau Manfred“, in der Hoffnung die große Liebe gefunden zu haben und überwies bedenkenlos zigtausende Euros an den vermeintlich Geliebten.
++++
Gegen diese grenzenlosen Liebessehnsuchten gebährdet sich meine derzeitige Mutterliebe als Hochschaubahn. Nachdem sich die Liebe zur Krautundrübentochter, die derzeit im Ausland weilt, mit täglichen Whatsappherzen als relativ einfach erweist, wird die Pubertier-Mutterliebe auf eine harte Probe gestellt. Als „peinliche“ Mutter habe ich längst gelernt, mich stets im Hintergrund zu halten bzw. mich nicht als Mutter erkennen zu geben, um dem Pubertier die Verlegenheit zu ersparen, was durchaus in einem skurrilem Gefuchtel und Gestenaustausch mit dem Pubertier gipfelt kann. Als Dank für meine verständnisvolle Zurückhaltung erhalte ich aber sehr oft ein promptes „Ich hab dich lieb“, was mich meine vorangegangenen Mühen zu schnell vergessen lässt und mich schnell in den Herzerl-Modus versetzt.
++++
Ich bevorzuge mittlerweile durchaus den Kleinfamilienalltag. Die Entscheidung des Krautundrübensohnes mehrere Tage bei uns zu verbringen, um für eine bevorstehende Prüfung zu lernen, lässt nur ein zaghaftes Gefühl der Freude in mir aufkommen. Ein über sein Skriptum gebeugter Krautundrübensohn, der bei offenem Fenster, frischer Landluft und gleichmäßigem Bachrauschen mit monotoner Stimme das zu Erlernende immer wieder wiederholt, versetzt mich aber schnell wieder in den Herzerl-Modus. Ich bleibe trotzdem bis zum späteren Abend in der Arbeit in der Befürchtung, aber mehr Gewissheit, dass mich zu Hause kein ruhiger Abend erwarten wird. Bereits beim Betreten des Krautundrübenhauses rieche ich, dass viel gekocht wurde, manches wohl anbrannte, Geschirr nicht weggeräumt war und der Fußboden wie auch die Arbeitsflächen mit Bröseln übersät sind. Ich unterdrücke meinen Ärger, weil jede Diskussion hinsichtlich Arbeitsaufteilung im Haushalt zu viel Energie und Zeit kostet, und starte mit dem Aufräumen. Der Krautundrübensohn beginnt ein Gespräch mit mir, das eindeutig in eine Richtung geht, nämlich osmotischer Druck geht. Er erzählt mir von den roten Blutkörperchen und dem osmotischem Druck, der zwischen zwei Flüssigkeiten herrscht, wenn diese unterschiedliche Konzentrationen haben und durch eine halbdurchlässige, also semipermeable Membran getrennt sind. Jaja! Und isotonisch heißt nix anderes, als dass es im engeren medizinischen Sinn eine Lösung ist, die den gleichen osmotischen Druck wie das menschliche Blut hat, meist eine isotonische Kochsalzlösung. (Das werde ich mir gut merken!) Es ist 23 Uhr und ich habe viel über chemische Prozesse gelernt. Wie und ob das jetzt alles mit dem idealen Gasgesetz zusammenhängt, habe ich mir aber nicht gemerkt, da müsste ich wohl im Mortimer nachlesen, wozu ich aber so gar keine Lust habe.
Es gibt bestimmt ausreichend Erklärungen, weshalb sich das Cortisol (= Stresshormon) immer durchsetzt und nicht zu bändigen ist, während sich das Oxytocin (=Liebeshormon) oder C43H66N12O12S2 oft wie ein Funktionsparameter als Ideallinie durch das Lebensraster kämpft.
Frau Krautundrübe