Entanglement

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Trotz einer Woche Urlaub im Schnee und Auszeit vom Alltag dauert der Jänner schon viel zu lange. Es ist noch nicht angebracht, an Frühling zu denken, obwohl die frostigen Temperaturen vorerst vorbei sind. Hier im „Süden“ setzen die Helleboren immerhin schon Knospen an und die Katzen wagen sich wieder ins Freie und räkeln sich in der Sonne, trotzdem ist Geduld angesagt. Ein Draußen-Vormittagskaffee geht sich zumindest in der Sonne im Freien ohne Frieren aus. Zusätzlich schaffe ich 11 Lessons bei Duolingo, ohne jemanden mit der KI-Sprachstimme zu stören.

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Ich bin zumindest ziemlich durch den Wind, um es gelinde auszudrücken. Dabei bin ich mir nicht sicher, ob mein Zustand am schlechten Schlaf liegt, oder der schlechte Schlaf meinen Durch-Den-Wind-Zustand bedingt. Jedenfalls räume ich seit ein paar Tagen in auffallend mondhellen Nächten gegen drei Uhr morgens nach durchwachter Nacht den Geschirrspüler aus, um dann einzuschlafen und wenige Stunden später wieder unsanft durch eindringliches Weckerläuten geweckt zu werden. Ich quäle mich aufzusehen, gerädert. Ich spüre, dass die Luft draußen ist, alles schreit nach Rückzug. In meinem Kopf gehe ich die Termine durch, ich werde sie alle wahrnehmen, muss mir heute recht sein. Die Müdigkeit wird schnell aus dem Gesicht gepudert und auf geht es in den langen Tag. Der erste Termin ist anstrengend, da ich mich sehr konzentrieren muss, um das Thema auf den Punkt zu bringen und den Termin kurz zu machen. Das Treffen mit dem Wiener Kollegen ist halb erfolgreich, wir planen eine Konferenz mit einem Thema, das für mich weniger interessant ist, da ich selbst schon jahrelang mit dem Bereich befasst bin, während mich ein anderer Aspekt interessiert, den ich aber nicht einbringen kann, da ich einfach zu müde und durcheinander bin. Ich würde mir wohl die Sache auch mit dem Termin im nächsten Jahr nochmals durch den Kopf gehen lassen und ihm nochmals mailen. Ich gehe in mein Büro zurück und sehe eine Nachricht auf meinem Handy, die mich beruhigt, da ich merke, dass mir ein wenig Wind genommen wird. Ich nehme die Nachricht, die durchaus kurz beantwortet sein könnte, zum Anlass einen Anruf zu tätigen. Das Gespräch ist schließlich wenig beruhigend, ich erhalte aber Informationen, die ich bereits vorausgeahnt habe. Da ich bis zu meinem nächsten Termin noch Zeit habe, tätige ich insgesamt fünf Anrufe, von denen keiner angenommen wird. Ich warte noch auf den einen oder anderen Rückruf, der allerdings nicht kommt, was meinen Durch-Den-Wind-Zustand verstärkt und überlege, dass ich selbst meine Rückrufe stets ehebaldigst nachhole, da ein Ignorieren für mich unhöflich wäre.

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Es folgt als Abendveranstaltung der Tag der GEWI mit dem Schwerpunkt Forschung(hoch)3, da drei neue Forschungsschwerpunkte der Fakultät vorgestellt werden. Im ausreichend gut besuchten Saal startet der Rektor der Universität mit einer sehr pragmatischen Rede, wo er immerhin die gesellschaftliche Relevanz der geisteswissenschaftlichen Fakultät betont. Trotz jährlich sinkender Studierendenzahlen wird das Budget erhöht, wie er uns vorrechnet, worauf artig applaudiert wird, und zu den drei neuen Schwerpunktbereichen übergeleitet wird. Es sind gesellschaftsrelevante Themen wie Mehrsprachigkeit, Migration und kulturelle Transformation, sowie Wahrnehmung (Episteme, Ästhetik, Politik) mit mehreren Clustern, die vorgestellt werden und die Forschungsschwerpunkte bilden. Nach drei Stunden des Zuhörens bin ich nicht nur informiert, sondern auch ruhig. Hier haben vorwiegend junge Forscher:innen zu ihren Clustern gesprochen und ihre Vorhaben definiert. Man könnte in diesem schönen UNIversum tatsächlich meinen, dass wir eine offene, lernfähige Gesellschaft wären, mit dem gemeinsamen Ziel, den täglichen Herausforderungen aufgeschlossen und lösungsorientiert zu begegnen, wo es keine Demos für Demokratie gibt, keine Hinweise auf Menschrechte braucht, kein Rechtsruck droht.

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Ich sehe beim anschließenden Buffet eine Frau, die ich nach dem Gesicht nach erkenne. Viele Male sieht man sich nach Jahren wieder und erkennt sich nicht. Oft bin ich überrascht bei Fotos von Klassentreffen, an denen ich selten teilgenommen habe, über Schulkolleg:innen, die ich darauf absolut nicht mehr erkannt habe. Diese Frau hier beim Buffet hat noch immer das Gesicht wie früher. Ich spreche sie an, bin mir unsicher, ob sie mich erkannt hätte, wir erinnern uns an gemeinsame Geigenstunden als Kinder in der städtischen Musikschule. Sie ist mittlerweile eine anerkannte Musikwissenschafterin geworden. Ich fühle mich ‚entflochten‘, ruhig, alles hat sich relativiert und ich bin sicher, dass ich eine gute Nacht haben werde.

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entanglement: die Verwicklung, die Verstrickung, die Verflechtung, die Quantenverschränkung

 

Frau Krautundrübe

 

 

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