Seit Tagen freue ich mich auf das Wochenende, das ich seit August nicht mehr zu Hause verbracht habe. Der Freitagmorgen beginnt noch mit morgendlichem Zuspätkommen wegen ausgiebigem Stau, gerade noch den Pubertier pünktlich zur Mathe-Schularbeit abgeliefert und eine zweidrittellange Vorlesung gehalten, um dann meinen Lieblingskollegen auf einen Kaffeetratsch zu treffen. Als der Heizkörper in meinem Büro kalt ist, beschließe ich zu Mittag mein Wochenende beginnen zu lassen.
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Draußen ist es unangenehm warm. Der angekündigte Föhnsturm bleibt aber aus. Ich gehe ins Haus und möchte das Draußen für ein paar Tage gerne aussperren. Ich bin erschöpft und froh, dass die letzten Wochen gut waren. ich bin froh, dass ich mich in den nächsten Tagen erholen werde. Der Pubertier verschwindet nach der Mathe-Schularbeit mit gutem Gefühl in sein Zimmer. Ich schließe auch die Türe und habe Lust auf richtige Alte-Hadern-Musik, bevor ich starte.
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Die Bücher von Marie Kondo, wie nämlich richtiges Aufräumen mein Leben zum Positiven hin verändern würde, habe ich nie gelesen. Die mir zu Verfügung stehende Wohnfläche und vor allem Kellerfläche übersteigt den europäischen Wohnungsflächendurchschnitt wesentlich, sodass Platzmangel für mich keine Kategorie darstellt. So verfüge ich seit dem Auszug zweier Krautundrübenkinder sogar über zwei Wäschezimmer. Abwechselnd wird der Wäscheständer in einem der Kinderzimmer aufgestellt. Die trockene Wäsche wird dafür im jeweils freien Zimmer aufbewahrt. In den Zimmern befinden sich allerdings noch Betten, je ein Kasten, je ein Tisch und ein Bücherregal mit den Restbeständen von Cornelia-Funke-Büchern, Tom-Turbo, Tobi Tüftel und Skulduggery Pleasant. Tschick, The Hate You Give und Löcher stehen in jedem Zimmer, da sie bei jedem Krautundrüben-Kind von der jeweiligen Klasse für den Unterricht bestellt und verwendet wurden. Der Großteil der Kinderbücher ist bereits im Keller in Kisten verpackt. Vielleicht haben mir die kindlichen Restbestände – darunter auch ein selbstgebasteltes Holzflugzeug, die Leonardo-Da-Vinci-Archimedische-Schraube und sämtliche Gesellschaftsspiele – den Auszug der Krautundrübenkinder erleichtert und ihnen könnte auch das Gefühl vermittelt worden sein, dass sie auch jederzeit wieder zurück können. Ich verspüre nun den Wunsch, die Skateboard-Decks von der Wand zu schrauben, die Pickerl abzulösen und die Jugendbücher endgültig wegzuräumen. Ich könnte zum Beispiel ein Gymnastikzimmer einrichten oder ein Yoga-Zimmer, wobei ich eigentlich nicht gerne alleine turne und Yoga so überhaupt nicht zu meinen Vorlieben zählt, man könnte auch ein Malzimmer oder ein Nähzimmer daraus machen, falls jemals Bedarf besteht oder so.
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Ich möchte dann doch noch über die KonMari-Methode, die Marie Kondo so berühmt machte, recherchieren und wissen, was so viele menschen – auch aus meinem Bekanntenkreis – daran fasziniert. Da lese ich in der Kurzfassung, dass ich mich von allem trennen soll, was nicht benutzt oder gebraucht wird oder mir keine Freude bereitet, die Gegenstände sollen erst hervorgeholt und sortiert werden, und anschließend aussortiert werden. Dinge, die regelmäßig in Gebrauch sind, müssen gut sichtbar und erreichbar platziert sein, das alles soll einen festen Platz haben! Kleine Teile gehören in Behältern aufbewahrt, die man beschriften soll, wobei lieber zu viel als zu wenig beschriftet sein soll, so weiß man immer, wo was hingehört. Außerdem soll man nach Farben oder Kategorie sortieren und für jedes neue (Kleidungs-)Stück sollte ein altes gehen.
Das klingt sehr vernünftig.
Ich lasse den Blick über mein vollgräumtes Wohnzimmer schweifen und überlege. Ich versuche den spirituellen Zugang, mit dem Marie Kondo ans Aufräumen geht, zu verstehen. Sie denkt, dass den Dingen, mit denen wir uns umgeben, eine eigene Energie innewohnt. Kommen die Objekte aber nicht zur Geltung, weil sie im Schrank versteckt und ganz hinten stehen, sollen sie mit Respekt verabschiedet werden anstatt weiter ein Schattendasein zu fristen. Das ist in jedem Fall ein schöner Gedanke, aber kompliziert.
Ich habe das Ausmisten vorerst aufgeschoben.
Frau Krautundrübe