Passt wunderbar

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Wenn der Chef anruft, weiß ich, dass er etwas will, was mir in diesem Augenblick nicht passen wird, ich es aber trotzdem tun werde. Genau so ist es kurz nach unserer Heimkehr aus Griechenland, wo ich ihn noch im Erholungsmodus wähne. Er ruft an und bittet mich, zu einer Tagung zu fahren. Die zuständige Organisatorin der Tagung ruft mich unmittelbar nach dem Chef-Telefonat an und führt mich in das Tagungsthema und die Konditionen ein. Ich stimme ihr zu, sie sagt in ihrem unverwechselbaren Tiroler (oder Vorarlberger?) Dialekt „Wunderbar“, woraufhin ich ihr mit einem „Wunderbar“ antworte, was eigentlich nicht zu meinem alltäglichen Wortschatz gehört und sich in diesem Moment, in dem es mir von den Lippen flutscht, komisch anhört. Ich schließe ein „Passt“ an, wobei es mir in diesem Moment noch gar nicht passt, sondern eher stresst. Ich würde innerhalb weniger Tage viel Lesen müssen, um einen Vortrag vorzubereiten. Das Thema  der Tagung zählt nicht unbedingt zu meinem Spezialgebiet, deshalb bin ich unruhig. Außerdem werde ich wieder kein Wochenende zu Hause verbringen, um die letzten spätsommerlichen Tage zu genießen. Der Zug ist gebucht, sechs Stunden ohne Umsteigen mit einem reservierten Sitzplatz lässt viel Zeit zum Arbeiten und zum Lesen, wenigstens.

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Die Krautundrüben-Männer haben sich noch nicht an meine Anwesenheit zu Hause gewöhnt und nehmen mein Wegfahren zur Kenntnis. Ich packe wiederholt den Koffer und mache mich auf den Weg zum Bahnhof, wo mir noch Zeit bleibt, in den gut sortierten Bücherladen zu gehen. Bereits am Eingang gewinnt ein Büchertisch mit aktuellen Bestsellern meine Aufmerksamkeit. Ich möchte mir schon seit einigen Wochen das neue Buch von Doris Knecht mit dem Titel „Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe“ besorgen, vergesse aber immer darauf, weshalb ich die Gelegenheit nütze und mir das Buch kaufe. Plötzlich freue ich mich auch auf die Zugfahrt. Zu Beginn der 2000er mochte ich die Bücher von Doris Knecht sehr. Sehr lebendig schilderte Knecht in ihrem unverwechselbaren Feuiellton-Stil Dinge, die mich zu dieser Zeit auch beschäftigten. Ihre nachfolgenden Romane überzeugten mich wenig, da sie oft plump und sprachlich sehr einfach rüberkamen. Trotzdem mag ich Doris Knecht und lese ihre Kolumnen in diversen Tageszeitungen sehr gerne. In diesem Buch beschreibt Knecht den Auszug ihrer Kinder und die Konsequenzen, die daraus für sie selbst entstehen. Ich habe das Buch während der Zugfahrt sehr leicht ausgelesen.

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Die Zugfahrt vergeht mit Lesen sehr schnell. Mir gegenüber sitzt ein sehr junges Paar mit einem entzückenden kleinen Kind. Sie kämpfen mit ihren riesigen Koffern, die sie schlussendlich in einem Zwischenraum zwischen den Sitzen unterbringen. Der Mann telefoniert in schlechtem Englisch, die junge Frau lächelt mir zu und der kleine Bub zeigt mir sein Auto. Sie könnten aus Indien stammen. Ich überlege, ob es sich hier um die begehrten Facharbeiter handelt, die im Lande fehlen? Sie steigen im Tourismusgebiet aus dem Zug aus. Ich helfe mit den Koffern. Wir winken uns nochmals zu, ich hoffe, dass sie es gut haben werden.

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Ich komme wie geplant in Innsbruck am Bahnhof an und werde von einem lieben Kollegen am Bahnsteig begrüßt. Wir warten noch auf Kollegen aus Frankreich, Rumänien und Serbien, die ich bislang nicht kenne. Wir fahren ins Hotel, geben unser Gepäck ab und suchen uns bei fast sommerlichen Temperaturen einen Gastgarten in einem Lokal in der Innsbrucker Altstadt. Schnell entsteht eine ausgelassene Stimmung in mehreren Sprachen. Es wird viel erzählt, man spricht über gemeinsame Kolleginnen, die eigenen Projekte und freut sich auf die nächsten Tage, die spannend werden könnten. In diesem Augenblick und in Hinblick auf den aktuellen Nahostkonflikt überkommt mich ob der angenehmen Stimmung ein Gefühl der Demut.

 

Frau Krautundrübe

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