Verquer

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Am Donnerstag, dem 20.1.2022 wurde vom Nationalrat in Österreich mit großer Mehrheit die Impfpflicht ab Februar 2022 beschlossen. Nachdem ca. 75 % der Österreicher*innen vollständig geimpft sind, möchte man die restlichen 25 % Ungeimpften per Gesetz dazu verpflichten. Es erübrigt sich hier anzuführen, welche Partei an vorderster Front die Impfgegner*innen anführt, jedenfalls schlossen sich auch quer durch die Bevölkerung Menschen dieser Bewegung an. In Wien und Graz kam es zu wöchentlichen Demonstrationen, die leider auch sehr rechts gelagerte Gruppierungen nützten, um ihr Gedankengut durch Schreiparolen und Tafeln zu propagieren, was ich besonders abstoßend finde. Trotzdem wusste ich anfangs mit dieser Impfpflicht nicht wirklich etwas anzufangen. Ich selbst hatte die Impfung sehnlichst erwartet (und schaffte es sogar, mich vor meinem angedachten Termin, vorzuschummeln, sodass ich zu Sommerbeginn bereits beide Impfungen hatte und entspannt Urlauben konnte). Mittlerweile schaffe ich es gut, Corona-Themen auszublenden, zur Impfpflicht hatte ich keine Lösung für mich, ob sinnvoll oder nicht.

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Die Klimakrise und die Corona-Pandemie scheinen vermehrt den inneren Zusammenhalt der europäischen Gesellschaften zu zerstören oder zumindest auf eine harte Probe zu stellen. Die  Demonstrationen von Impfgegner*innen, die zunehmend aggressiver werden, untermauern diese Spaltung tagtäglich. Dabei geht es durchaus auch um Prinzipien im weiteren Sinne, wie der Philosoph Peter Strasser in einem Essay in Verbindung mit dem „Gespenst“ des Eurozentrismus darlegte. Kritik am Eurozentrismus gibt es traditionell verstärkt vor allem von linken Gruppierungen. Peter Strasser versucht unter dem Aspekt des christlichen Europas der Aufklärung die Idee einer Menschheitsmoral und der gleichen Würde aller Menschen einzubringen, sowie ja auch die Gleichheit der Menschen rechtlich abgesichert und in der Verfassung verankert in den westlichen Demokratien festgeschrieben ist. Voraussetzung dafür ist, dass sich das moderne Europa von der (vor allem nationalistischen und kolonialistischen) Vergangenheit abgrenzt.

„Im 18. Jahrhundert fordert der aufgeklärte Pflichtethiker Immanuel Kant einer berühmten Formulierung seines Kategorischen Imperativs zufolge, dass kein Mensch jemals als bloßes Mittel zu fremden Zwecken „gebraucht“ werden dürfe; jeder Mensch habe stets einen unbedingten Anspruch darauf, als „Zweck an sich“ geachtet zu werden. Viele der grundlegenden Werte des liberaldemokratischen Staates gehen auf diese Formel zurück, auch wenn Kant selbst die bürgerliche Treue zum preußischen Absolutismus einforderte.

Kontrapunktisch dazu setzte sich in der Folgezeit – gegen erhebliche Traditionswiderstände – der Gedanke des sogenannten „Utilitarismus“ durch. Demnach ist nur jene staatliche Herrschaftsform legitim, welche – wie die bekannte Formulierung des Sozialreformers Jeremy Bentham lautet – „das größte Glück der größten Zahl“ anstrebt, indem sie individuelles Leid durch öffentliche Reformen einzudämmen sucht.“ (Peter Strasser, Die Tollhäusler der Welt haben nicht das letzte Wort, Kleine Zeitung, vom 23.1.2022)

Ich blieb beim Lesen dieses Essays am Begriff „Utilitarismus“ hängen. „Das größte Glück der größten Zahl“ meint doch eindeutig das, worum es in der Corona-Debatte ständig geht? Sollte ich eine Antwort auf die von mir noch nicht gelöste Frage gefunden haben, ob eine vom Staat verordnete Impfpflicht sinnvoll ist?

Auf eine klassische Grundformel reduziert besagt der Utilitarismus und in weiterer Folge der Konsequentialismus, dass eine Handlung genau dann moralisch richtig ist, wenn sie den angestrebten Gesamtnutzen bzw. das Wohlergehen aller Betroffenen, maximiert. Und ja, wer fühlt sich hier nicht angesprochen, wenn man sich seit nunmehr zwei Jahren an alle Maßnahmen hält, vielleicht sogar über die staatlichen Verordnungen hinaus, so wie ich während des gesamten Sommers bei der Arbeit Maske trug – und das nicht aus strebsamen Gehorsam heraus, sondern aus tiefer Überzeugung, da ich daran glaube, dass mich und andere die Maske vor einer Ansteckung schützt. Ich vertraue selbstverständlich auf die Wissenschaft, aus diesem Grund zweifle ich auch nicht an der Wirksamkeit der Covid-Impfung. Die Impfung schützt mich vor einem schweren Krankheitsverlauf, das reicht für mich. Sollten zukünftig Impfstoffe entwickelt werden, die eine längere und bessere Wirksamkeit gegen das Virus aufweisen, wird mich das freuen. In dieser Phase der Pandemie allerdings ist der vorhandene Impfstoff für mich die beste Möglichkeit, schwere Krankheitsverläufe zu vermeiden. Demnach würde im Sinne des Utilitarismus nur die Impfpflicht zum „größten Glück der größten Zahl“ führen, wenn man als größtes Glück unser Vor-Pandemie-Leben zurückhaben möchte und als größte Zahl alle impffähigen Menschen einer Nation sieht. Die verschiedenen Formen des Utilitarismus sollen das einzige Kriterium für mögliche Folgen und reale Wirkungen moralischer Beurteilung sein. Das Ziel dieser achtsamen Moraltheorie, wie vom Utilitarismus propagiert, ist die Vergrößerung des Gemeinwohls nach Jeremy Bentham. Die Beweggründe oder Ursachen bei dieser teleologischen Moraltheorie können sehr unterschiedlich sein.

Dem steht die bereits bei Peter Strasser genannte kantische Deontologie gegenüber, wonach es kategorisch untersagt ist, einen Menschen vollständig zum Nutzen einer Gemeinschaft zu instrumentalisieren. So sollte nach Kant jeder Mensch nach freiem Willen handeln, wobei der Mensch aus seiner Natur heraus gut und würdig handelt. Demnach wäre aus der Sicht der kantischen Deontologie ein Kompromiss, wie er von Impfgegnern eingefordert wird, höchst problematisch, da den Impfgegnern, die sich einzeln als Personen auch durch Bewusstsein und Willensfreiheit definieren, ihre Personenwürde zuerkannt werden muss. Als Grundlage des Utilitarismus gilt heute noch immer das im Jahr 1781 erschienene Buch von Jeremy Benthams, An Introduction to the Principles of Morals and Legislation. Bentham geht kurz zusammengefasst davon aus, dass die Handlungen des Menschen von Natur aus durch Leid und Freude bestimmt werden, indem er Freude oder Glück vermehren möchte und Leid verringern oder vermeiden möchte. Wende ich das auf die verordnete Impfpflicht an, so würde durch das Gesetz Freude und Glück vermehrt werden, wenn man die gesamten Österreicher*innen einbezieht, allerdings bedeutet es für diejenigen, die gegen ihren Willen geimpft werden, Leid zu ertragen. Zieht man Bilanz, so überwiegt für die Mehrheit der Gemeinschaft der positive Aspekt der Impfung, dem sich der geringere ungeimpfte Teil der Gemeinschaft unterordnen muss, um den Gesamtnutzen und das Wohlergehen aller zu maximieren.

 

Frau Krautundrübe

 

 

 

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