Von Beschallungen und falsch verstandenen Dresscodes

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Meine Tage gestalten sich nicht überaus spannend und sind vorwiegend mit Arbeit verbracht. Es hat noch immer sommerliche Temperaturen, jeden Tag Sonnenschein und blauer Himmel, ab und zu geht sich noch ein Abstecher zum Schwimmen im Meer aus. Wenn mein Arbeitstag früher enden würde, sähe ich auch atemberaubende Sonnenuntergänge. Zumindest nehme ich kurz nach sechs Uhr abends einen violett-orange gefärbten Himmel in den Astlücken der Bäume wahr. Die Bäume verlieren auch hier im warmen Süden langsam die Blätter, zumindest werden sie welk, ziehen sich zusammen und spenden weniger Schatten. Das fühlt sich fremd an.

Bougainvilleen am Verblühen

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Ich vermisse den Herbst von daheim und die Krautundrüben-Bande. Ich stelle mir vor, wie ich nach meiner Heimkehr die Sommerklamotten – sofern ich sie überhaupt mit nach Hause nehme – endgültig im hintersten Winkel im Kleiderschrank versenke und meine Herbstgarderobe die privilegierten Schrankplätze einnimmt. Ich werde auf den Wochenmarkt gehen, um Kürbis für die Ingwer-Kürbissuppe zu kaufen und ich werde auf alle Fälle in die Kirche gehen. Ich werde meine Eltern besuchen und werde dort in die große, schöne Kirche gehen und vom Brunnhöfl schöne Fotos – Herbstfotos mit alten, melancholischen Mauern und buntem Laub – schießen. Ich vermisse die Kirchenglocken und ich vermisse die Ruhe. Hier in Side an der türkischen Südküste ist es nämlich sehr trubelig und vor allem übermäßig laut. Die zahlreichen Ausflugsboote wollen sich gegenseitig mit ihren Beschallungen übertreffen, aus den vielen Bars schallen bekannte Oldies, die zahlreichen Livemusik-Bands überschallen schlussendlich alles mit noch mehr bekannten Oldies. Die Männer vor den Geschäften sind laut bei ihren Versuchen, die Tourist*innen in die Geschäfte zu locken. Der Ruf des Muezzin ist auch laut, aber heute gar nicht krächzend, sondern schön deutlich und bringt mich schließlich auf die Idee, in die kleine Moschee zu gehen, um dort ein wenig Ruhe zu finden. Es ist eine Dorfmoschee, die meist menschenleer ist, soweit ich das beim wiederholten Vorbeigehen erspähe. Ich erinnere mich an die Tafel mit den Kleidungsvorschriften für Männer und Frauen, die beim vorderen Eingang steht. Männer dürfen keine kurzen Hosen tragen und Frauen brauchen lange Hosen oder einen langen Rock, ein langärmeliges Oberteil und ein Kopftuch. Ich habe zwar Moscheen besucht, die aber allesamt in einem Sightseeing-Kontext standen. Ich weiß, dass ich mir die Schuhe ausziehen muss, werde mir sicherheitshalber auch Socken einpacken, da nackte Zehen sicher unpassend sind. Wie das aber mit dem Füßewaschen ist, ob ich als Nicht-Muslima mir auch die Füße am wunderschönen Brunnen waschen darf oder muss, weiß ich nicht, weshalb mir eine schnelle, nur oberflächliche Internetrecherche nicht erspart bleibt.

Kleidungsvorschriften am Moscheeeingang

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Ich lese, dass der Koran niemandem verbietet eine Moschee zu besuchen, da es sich um ein Gotteshaus handelt. Sehr fein! Frauen und Männer dürfen somit gleichermaßen in die Moschee, egal ob muslimischer Glaube oder nicht, sofern man sich respektvoll verhält. Das heißt zum Beispiel, wenn die Gläubigen beten, soll man sich die Kleidung nicht richten und auf gar keinen Fall, die Ärmel hochkrempeln. Es dürfen keine Geschäfte in der Moschee gemacht werden und wenn der Vorbeter anwesend ist, soll man sich respektvoll im Hintergrund halten, was sich von selbst versteht. Man begrüßt sich, indem man sich wortlos zunickt, davor sollte man nichts essen, was übelriechenden Mundgeruch verursacht und auch nicht auf die Treppen spucken. Außerdem müssen – wie bereits vermutet, die Zehen bedeckt sein. Meinem Moscheebesuch steht somit nichts im Wege, einzig das mit den Zutritten muss ich noch auf mich zukommen lassen. Angeblich gibt es nämlich zwei Zugänge getrennt nach Geschlechtern. Ob ich mir die Füße wasche, werde ich spontan entscheiden.

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Ich wähle eine lange Hose, die bis über die Knöchel reicht, ziehe mir eine langärmelige, weite Bluse an und nehme ein großes Tuch, das ich mir so binde, dass die Haare bedeckt sind. Die langen Enden binde ich mir nochmals um den Hals, sodass alles bis auf meine Finger und mein Gesicht bedeckt ist. Ich verschwinde rasch aus meinem Camp, kehre nochmals zurück, da ich meine Socken vergessen habe. Auf dem fünfminütigen Weg zur Moschee fällt mir ein, dass ich auch gelesen habe, dass man eine männliche Begleitung dabei haben soll, die ich nicht habe, dem ich aber keine große Bedeutung beimesse, da ich schließlich schon ein fortgeschrittenes Alter erreicht habe, das man mir bei meinem zusammengewürfelten, bunt gemusterten Outfit nicht absprechen wird.

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Ich erreiche die Moschee, die aus der Ferne durch ihre klare Kontur in der Abendstimmung besticht. Beim Eingang zum Moscheegarten sehe ich viele Schuhe, im Inneren spricht eine männliche Stimme, ich sehe viele Köpfe, ein Mann, der am Eingang steht, winkt mir zu, geht eiligen Schrittes zu mir und deutet mir „Gelmek! Abla!“, was soviel heißt, wie „Komm! Schwester!“. Ich winke erschrocken ab, eile in die nächste Gasse, nehme mein Kopftuch ab und atme tief durch. Damit habe ich nicht gerechnet, da ich davon ausging, dass nach dem Abendruf des Muezzin nicht mehr gebetet wird wegen der Nachtruhe. Ich werde dem noch nachgehen, lebe ich hier doch mit sehr auskunftfreudigen, türkischen Kolleginnen. Ich bin auch wirklich neugierig geworden und bleibe entschlossen, dass ich es nochmals zu einer anderen Tageszeit versuchen werde, in die Moschee zu kommen, allerdings in touristischerem Outfit, um mir diese Verlegenheit zu ersparen.

Sehr ansprechender Brunnen

 

Frau Krautundrübe

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