Der Großteil meiner engeren Familie wurde im März geboren, weshalb von meinem Vater, der ebenfalls zu den Geburtstagszufeiernden zählte, eine Essenseinladung in meiner Heimatstadt ausgesprochen wurde. In seiner sehr pragmatischen Art lud er in einen chinesischen Essenstempel mit riesigem Buffet im amerikanischen Stil (zumindest die Lokalkette), um die Enkelkinder unter dem Motto All-You-Can-Eat satt zu bekommen. Seine Rechnung ging auf, alle waren zufrieden.
Ich buk bereits am Freitag eine Sachertorte nach dem Familienrezept meiner Großmutter. Frau Kind 1 reiste aus Wien an, auch sie war eine Geburtstagszufeiernde. Herr Kind 2 wurde an der Bimstation aufgelesen, Pubertier Kind 3 wurde zwar schon ausgiebig gefeiert, freute sich aber auch noch zu den Geburtstagskindern zu zählen. Nach einer einstündigen Autofahrt brachten wir die Sachertorte wegen der ungewöhnlich warmen Temperaturen zu meinen Eltern, die sich bereits auf den Weg zum Essen machen wollten. Die halbe Schwesterfamilie war aus der entgegengesetzten Richtung angereist. Da wir uns selten sehen, freuten wir uns sehr auf den gemeinsamen Nachmittag. Während der Fahrt von meinem Heimathaus zum Chinarestaurant schwelgte ich bereits in Erinnerungen, als wir die wunderschöne lange Straße entlang fuhren, die ich als Jugendliche so oft entlang ging. Wir kamen an der Stadtmauer des Städtchens vorbei, noch nie war mir der runde Turm und das enge Gässchen, das wir passierten so bewusst aufgefallen. Kurz erblickte ich während der Fahrt auch das Wahrzeichen der Stadt und den einladenden Hauptplatz aus dem 14. Jahrhundert mit der Pestsäule am oberen Ende. Noch ein Blick zur Musikschule und rasch hatten wir die Innenstadt durchquert. Vor dem Chinarestaurant ergatterten wir den letzten Parkplatz. Die nette Empfangsdame fragte uns sehr eindringlich nach unserem Hund – offenbar erwartete sie eine Gesellschaft mit Hund. (Wir suchten in unseren Handtaschen, fanden allerdings keinen Hund.) Trotzdem wurden wir in ein sehr exklusives Extrazimmer mit veilchenlila- samtgepolsterten Stühlen und einem wirklich einladenden großen runden Tisch geleitet. Wir holten uns Getränke und machten uns ans Buffet. In einer meiner „alten Wohnungen“ befand sich Anfang der 2000-er Jahre ein Chinarestaurant mit einem kleinen Gastgarten an der Straßenecke und einem unglaublich günstigem Mittagsangebot. Das Menü bestand damals aus einer süß-sauren Suppe, gebratenem Fleisch mit Gemüse und Curry (oder einer sonstigen Gewürzmischung) mit Reis (oder gebratenen Nudeln) und einem Litschikompott als Dessert (nicht zu vergessen der abschließende Pflaumenwein). Ich merkte damals schon, dass mir das Übermaß an Glutamat nicht gut bekam, indem ich nach dem Essen mit Herzklopfen und Durchfall kämpfte. Im Laufe der späteren 2000-er Jahre dünnten sich die Chinarestaurants wieder aus. Vielleicht auch weil ich am Land landete – in meinem Dorf gibt es immerhin eine Pizzeria, besuchte ich in den letzten Jahren sehr selten Chinarestaurants, auch gehe ich nie zum Sushi-Essen. Ich stand nun vor dem riesigen Buffet und mein erster Weg führte mich zum süß-sauren Suppentopf und der zweite Weg zum Gong Bao Chicken. Sofort geschwächt von der Glutamat-Bombe setzte ich nochmals zu Sushi, Maki, Wasabi, Sojasauce, Teriyaki und Ingewer an. Es war originell, alles sehr köstlich, gekrönt durch ein Dessert mit Mohneis und frischen Ananasstücken.
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Es ist immer sehr schön, wenn alt und jung beisammen sind. Bereits bei der Hinfahrt erzählte ich meinen Kindern, dass die Jugend meiner Schwester und mir sehr streng verlief. Jeder junge Bursche wurde von unserem Vater sehr genau beäugt. Selten fand er ein gutes Wort. Umso überraschender war ich, als mein Vater erzählte, dass er mit meinem ersten Freund Tennis spielte. Dieser erste Freund, der nicht nur mein erster Freund war, sondern (in der angeführten Reihenfolge) auch der erste Freund meiner besten Freundin als auch der erste Freund meiner zweitbesten Freundin. Er sah damals dem Hauptdarsteller der Serie aus den 1980er-Jahren „Die Abenteuer von Tom Sawyer und Huckleberry Finn“ zum Verwechseln ähnlich, was ihm auch den Spitznamen „Huck“ einbrachte. (Auch meine Schwester blieb nicht untätig, freundete sie sich mit dem viel jüngeren „Onkel“ von „Huck“ an.) Seit vielen, vielen Jahren habe ich keinen Kontakt mehr zu „Willst-du-mit-mir-gehen-Huck“, wobei er mir als sehr lieber Mensch immer positiv als mein erstes Gspusi in Erinnerung bleiben wird. (Ich freue mich aber von meinem Vater am Laufenden gehalten zu werden. Z.B. über seine Fähigkeiten als Langlauflehrer…)
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Szenenwechsel. (Herr Krautundrübe versäumte übrigens die lustige Schwiegerfamilienrunde, da er einen Probentermin mit einer seiner ältesten Bands ausgemacht hatte.) Nach dem Chinatempel fuhren wir zum Torteessen und Kaffeetrinken zu den Eltern. Das fast sommerliche Frühlingswetter hielt an, ich kämpfte noch immer mit dem Glutamatüberschuss und musste meine Mutter und meine Schwester nicht lange zu einer Spazierrunde überreden. Die Geburtstagszufeiernden Neffe 1, Frau Kind 1 und Pubertier Kind 3 sowie Herr Kind 2 schlossen sich uns nicht an, sondern bevorzugten die entgegengesetzte Richtung. (Sie freuten sich sehr, einander zu treffen und vermissten den Neffen 2, deshalb gab es keine weiteren Überzeugungsmaßnahmen, ob sich die Jungen nicht doch uns anschließen wollen würden.) Auch diese Spazierrunde kam mir im Frühjahrsglanz noch vertrauter vor. Zum Abschluss wollten wir noch in das Stift. Die Stiftskirche begleitete mich durch meine Kindheit und Jugend. Die große Enttäuschung, dass ich in meiner Volksschulzeit nicht zum Maisingen ins Brunnhöfl des Stifts ausgesucht wurde, waren durch die vielen Familiengottesdienste, wo ich mit meinen Freundinnen für das musikalische Rahmenprogramm zuständig war, wettgemacht. Obwohl der letzte Kirchenkontakt die Taufe von Frau Kind 1 vor nunmehr fast 22 Jahren war, war mir beim Betreten der Kirche alles sehr wieder sehr nah.
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Das Stift mit seiner ganzen umliegenden Anlage ist sehr anziehend. Aus diesem Grund war es auch nicht verwunderlich, dass wir unsere „Jungen“ im Stiftspark in der Wiese sitzend und plaudernd trafen. Auch sie waren von diesem Ort begeistert.
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Nach dem Torteessen und Kaffeetrinken beendeten wir sehr zufrieden unseren gemeinsamen Nachmittag. Meine Schwester und Neffe 1 machten sich auf den Weg, wir fuhren wieder in die entgegengesetzte Richtung nach Hause. Aufgrund des schönen Abends hatten Herr Kind 2 und Frau Kind 1 noch Pläne, was bedeutete, dass ich sie aufgrund der fortgeschrittenen Zeit noch an den gewünschten Orten absetzte. Bei der endgültigen Heimfahrt suchte ich wieder einmal einen geeigneten Radiosender. Auf Oper hatte ich keine Lust, auch nicht auf elektronische Musik oder auf flache Popmusik. Welche Überraschung im Regionalfunk gab es eine Stunde lang Musik über das Küssen! Schnell war ich wieder hellwach mit Prince „Kiss“.
Frau Krautundrübe