Das Heimatlos

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In einem Interview von Hubert von Goisern, wo es im weitesten Sinn um den Heimatbegriff ging, der ja so oft negativ besetzt ist, meinte er sinngemäß, dass er, sobald er sein geschütztes ‚Biotop‘ verlässt, sehr an der Vergangenheit und dem Ewiggestrigen anderer ‚Biotope‘ interessiert ist. Ich kann ihm eigentlich recht geben. Das mag daran liegen, dass man sich außerhalb des eigenen ‚Biotops‘ automatisch nicht mit dem offensichtlich Wahrnehmbaren zufrieden geben möchte. Zum Traditionellen, Vergangenen und – wenn man so will – Ewiggestrigen will man vordringen, um besser zu verstehen und am Authentischen besser teilzuhaben und es vor allem beurteilen kann. Am besten vertraut man sich dabei den Einheimischen an, was ja meistens gut funktioniert! Schaut man nach Tirol, so wird hier von den ‚Einheimischen‘ im negativen Sinn über Merchandising mit z. B. „I bin a Tirolabua“-„I bin a Tirolamadel“-TShirts, Servietten, Hüten, Kappen, Rucksäcken, Jacken etc. nicht nur touristisches Kleingeld erworben, sondern auch mit dem Heimatbegriff gespielt. Veranstaltungen wie Jodelseminare und Dirndlspringen boomen! Auch Diversität und unterschiedliche Lebensformen werden eingebracht – so gesehen bei den Münchner Schwuhplattlern. Immer wieder wird die Heimat als Wohlfühl-Ort bezeichnet oder verkauft. Das saubere Landleben wird dabei strapaziert und sehr oft darauf vergessen, dass es Leute gibt, die sich Heimat erst schwer verdienen müssen. Meine Heimat ist dort, wo ich mich einbringen darf und muss. Das ist oft mit Stress, Pflicht, Ärger und auch Auseinandersetzung verbunden, wenn man zumindest den Anspruch erhebt, seine Heimat mitzugestalten. Heimat ist demnach auch immer Eigen-Arbeit.

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Tracht ist wieder modern. Die Jungen kleiden sich wie selbstverständlich in Tracht. Es geht dabei nicht mehr um das Ausseerdirndl oder das Murtalerdirndl, man zieht einfach jegliche Art von Tracht an, die gefällt.

So auch bei den Krautundrübens. Ich war nicht wenig erstaunt, als Pubertier Kind 3 auf meine Frage über sein erwünschtes Outfit bei seiner nächst-sonntäglichen Firmung angesprochen, wie selbstverständlich „Na, steirisch natürlich“ antwortete. Auf mein weiteres verwundertes Nachfragen (Pubertier Kind 3 hätte ich nicht unmittelbar in die Trachtenecke gesteckt!) meinte er, dass wohl alle Firmlinge in Tracht sein werden, was so viel heißt, dass er einfach auch dazu gehören mag und die Tracht nicht geduldig, sondern selbstverständlich ertragen wird. Bei weiteren Erkundigungen bei den Firmeltern ob des Outfits erhielt ich sogar die Information, dass Lederhosen mit eingesticktem steirischen Panther sehr gefragt seien. Na bitte! Was ist denn da los? Ich selbst habe zwar ein sehr unaufgeregtes Verhältnis zur Tracht, in meinem Universum begehren Jugendliche aber gegen die Tracht als Zeichen für Tradition versus Fortschritt auf! Ich selbst trug mein letztes Dirndlkleid bei meiner eigenen Firmung, die schon vor mehreren Jahrzehnten stattfand. Seitdem habe ich es immer geschafft, dem Dirndl zu entkommen. Ich recherchierte in Anbetracht des nahenden Firmsonntags trotzdem im Internet und hätte mich für einen Bänderrock von Lena Hoschek erwärmen können. (Der Blick auf das Preisschild mit einem fast 4-stelligen Eurobetrag ließ mich zögern.) Ins Träumen versetzten mich allerdings die Kleider von Susanne Bisovsky, der es hervorragend gelingt, die unglaubliche Spannweite von Trachten modern zu interpretieren. Die Tracht hat ihre Lodenschwere bei den Jungen eindeutig abgelegt und (hoffentlich) wieder die Funktion übernommen, die ihr gebührt, nämlich ein Zusammengehörigkeitsgefühl im positiven Sinne zu erreichen.

Meine Firmung und mein letztes Dirndl

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Gehindert an den postcoronabedingten Wehwechen holte ich heute meine alten löchrigen Laufschuhe aus dem Keller. Schon seit Wochen hatte ich miese Laune, weil mir das Laufen fehlte. Heute wollte ich es wieder probieren, die coronaverwundeten Gelenke wurden mit Schmerzgel und Bandagen versehen und ab ging es auf die Piste. Obwohl ich meist sehr unehrgeizig agiere, holt mich beim Laufen mein eigener Eifer ein. Aus diesem Grund lief ich ganz ohne Uhr los, um nicht wieder Opfer meines eigenen Stresses zu werden.  Schon die ersten fünfzig Meter vermittelten ein befreiendes Gefühl – mir war zum Jauchzen! Trotzdem wollte ich mich heute an die 6 km-Runde mit Gelenk-schonenden Gehpausen auf unbefestigtem Boden halten. Am Laufhighway angekommen sah ich bereits in einiger Entfernung den ersten Läufer. Er näherte sich unübersehbar im neongelben Trikot mit Stirnband, sportlich und muskelbepackt. Na, da wollte ich um nichts nachstehen und hatte schon längst mein Lauftempo wesentlich erhöht, um ihm beim einander Passieren ein kollegiales, lockeres Gar-Nicht-Außer-Atem-Hallo entgegen zu schmettern, um dann außer Sichtweite aber mein Tempo wieder zu reduzieren. Nevertheless -6 km easy gelaufen. Bin wieder da!

Meine gut gedienten Laufschuhe

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Eine mögliche Variante des Heimkommens bei den Kusimanten (mit Linde Härtel): Die Kusimanten: Coming Home

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Zum Beitragsbild: Wer könnte es besser wissen, was Heimat heißt, als Odysseus, der sein Leben lang den Weg nach Hause suchte.

Odysseus (Sehnsucht nach der Heimat) von Alexander Rothaug (1870-1946), vor 1924 entstanden (Sammlung Belvedere).

 

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