Gerade zurück aus Wien, fühle ich mich unstet und aufgebracht. Der öffentliche Verkehr zeigt sich heute nicht von seiner guten Seite. Überfüllte Züge beim Hinfahren, außerdem quält mich mein Laptop im Zug. Um Platz in meiner Laptoptasche zu machen, verzichte ich auf die Maus. Leider gelingt es mir nicht, das Touchpad zu aktivieren, das – warum auch immer – am Laptop offenbar deaktiviert ist. Ich sehe mich im Zugabteil um, ob ich mir von jemandem eine Maus borgen kann, um das Touchpad zu aktivieren, aber Mäuse scheinen out zu sein. Ich versuche es mit mehreren Tastenkombinationen strg+alt+sämtliche Funktionstasten, aber es ändert sich nichts, außer einer Maske zu Geräten bei den Einstellungen, die gefährlich aussieht und die ich nicht ändern möchte, die sich aber auch nicht mehr schließen lässt. Ich weiß, dass mich das Wissen um das Unlösen meines Dilemmas den ganzen Wien-Tag beschäftigen wird. Aus diesem Grund gilt der erste Weg in Wien dem Kauf einer Maus in einem verwinkelten „Einkaufszentrum“ am Elterleinplatz in Hernals. Schließlich spute ich mich, denn die Herren bei Visa for Turkey, einer vom türkischen Staat autorisierten Agentur für Visa-Belange, dulden keine Verspätung. Es ist wieder soweit, die Sommerarbeit soll beginnen. Die beiden Herren hinter dem Pult – keine Türken, denn die türkischen Kunden sprechen mit den beiden Angestellten Deutsch, kennen mein Anliegen bereits, sodass die Abwicklung sehr schnell passiert. Ich stelle mich trotzdem noch zu einem Stehtisch, der eigentlich zum Ausfüllen der Formulare gedacht ist, gebe meinen Laptop aus der Hülle, die Maus aus der Verpackung und starte, was die beiden Herren hinter dem Pult aus den Augenwinkeln beobachten. Ein weiterer Mann kommt durch eine Glastüre. An den Blicken, die ich aufschnappe, erkenne ich Vorbehalt. Ich klappe den Laptop zu, sehe aber noch aus den Augenwinkeln, dass mein Herumgetippe im Zug an den Funktionstasten das Display meines Laptops schräg in Hochformat verschob. Ich bin irritiert.
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Der Himmel ist zwar blau am frühen Vormittag in Wien, aber es ist noch kühl. Ich weiß wiederum, dass mich das Wissen um das Unlösen meines Laptop-Dilemmas den weiteren Wien-Tag beschäftigen wird, deshalb gehe ich in das Cafe am nahe gelegenen Johann-Nepomuk-Vogl Platz, wähle einen schattigen Tisch, um das Dilemma mit dem hochformatigen Display im Querformat zu regeln, was in der angenehmen Sonne wegen der Reflexion schwierig sein würde. Es ist ungemütlich kühl im Schatten, aber nach mehreren Versuchen gelingt es mir, das Display wieder in die richtige Position zu drehen.
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Ich treffe die Krautundrübentochter, die mich mit einem nachträglichen Muttertagsblumenstrauß überrascht, der noch für Verwirrung sorgen wird. Ich überbrücke die Zeit zur endgültigen Visumsausstellung im türkischen Konsulat mit der Krautundrübentochter am Karmeliterplatz an einem sonnigen Plätzchen in einem kleinen „Standl“-Cafe mit schmalen, eng beieinander gestellten Tischchen. Wir haben uns lange nicht gesehen und einige brisante Dinge zu besprechen, was uns veranlasst zu flüstern, wodurch der Dame am sehr nahen Nachbarstisch lange Hasenohren wachsen. Wir stecken die Köpfe noch weiter zusammen, versteckt hinter dem Muttertagsblumenstauß, um uns die letzten Knüller zu erzählen. Nach ausführlichem Ahhh und Ohhh über das Besprochene brechen wir unter den neugierigen Blicken der Dame auf. Unsere Wege führen uns in entgegengesetzte Richtungen.
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Frohen Mutes nach dem Treffen mit der Krautundrübentochter fahre ich mit der U4 nach Hietzing, wo rund um das Schloss Schönbrunn – wohl wegen des schönen Wetters – reges Treiben herrscht. Ich verzichte auf den Schlosspark, obwohl ich noch Zeit hätte. Die Sonnenbänke sind besetzt, sodass ich sogleich die Richtung zum türkischen Konsulat einschlage, das aber noch geschlossen ist. Ich setze mich auf die Bank eines Straßenbahnhäuschens und vergrößere meinen Punktestand bei Duolingo für Spanisch. Als bereits vor dem Eingang des Konsulats eine Familie wartet, reihe ich mich dahinter ein. Es bildet sich bald eine kleine Schlange. Als sich ein junger Mann mit zwei Köfferchen unverschämterweise einfach vor mich einreiht, will ich mich empören, krieg mich aber schnell ein, als er den Blick auf meinen Blumenstrauß wirft und die Augenbrauen hochzieht. Gleichzeitig werden wir zur Sicherheitskontrolle gewunken, wo wegen meines Blumenstraußes noch ein zweiter Beamter hinzugezogen wird. Sie reden mit schnellem Türkisch auf mich ein, zeigen immer wieder auf den Blumenstrauß. Ich erkenne, dass ich trotz täglicher Türkisch-Lektionen kaum was verstehe, wohl aber mitbekomme, dass es um die Blumen geht. Jede einzelne Blüte wird genau inspiziert, schließlich darf ich in das Konsulat, wo die Visumsabwicklung wieder sehr schnell geht. Zu meiner vollkommenen Zufriedenheit verlasse ich mit einem Multiple Entry-Forschungsvisum, gültig bis 31.12.2025 das türkische Konsulat, wonach ich für dieses Jahr das Visumsprocedere abgeschlossen habe.
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Ich nehme die U-Bahn zum Bahnhof nach Wien-Meidling, ergattere einen Platz, positioniere umständlich Rucksack, Jacke und Blumenstrauß, um mir noch umständlicher online eine Fahrkarte zu kaufen. Ich scheitere an der Security App meiner Kreditkarte, sodass ich den Kauf abbreche. Ein Blick nach Draußen ins Siedlungsgebiet von Alt-Erlaa und die wenigen Menschen im U-Bahn-Zug bestätigen meine Befürchtung, den Ausstieg versäumt zu haben.
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Im Bahnhof Meidling suche ich zuallererst nach einem Fahrkartenautomaten. Räumlich getrennt vom Bahnhofsbereich hinter einer Glastüre befinden sich schließlich die Automaten. An der Türe steht eine junge Frau in Bahn-Uniform. Ich stelle meinen Rucksack vor den Automaten und lege den Blumenstrauß hoch über den Automaten, die Jacke hängt über meinem Unterarm, als ich bemerke, dass eine weitere Frau an der Glastüre auftaucht. Beide beobachten mich gespannt, als ich beginne in meinem – viel zu kleinen – sehr vollen Rucksack wohl viel zu lange nach meinem Geldbörsel zu suchen, um mir eine Fahrkarte zu kaufen. Jedenfalls stehen neben mir die zwei Frauen in der Zug-Uniform und ein Polizist, der mich freundlich auffordert, einen Blick in den Blumenstrauß werfen zu dürfen, was ich ihm gerne gestatte. Die Blümchen werden wieder sorgfältig begutachtet und gedreht, in das Papier gewickelt und mir letztlich Polizisten-breitbrüstig übergeben. Ich kaufe mir schließlich ein Zugticket, beim Verlassen des Automatenbereiches zwinkere ich den beiden Frauen zu, sie nicken.
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Der Zug hat schließlich eine halbe Stunde Verspätung, sodass ich meinen Anschlusszug versäume und viel Zeit bleibt, mir blutrünstige Muttertagsblumenstrauß-Kriminalgeschichten zu überlegen.
Frau Krautundrübe