Engelsrufer*

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Als ich mich unlängst durch die weihnachtlich belebte Stadt treiben lasse, fällt mein Blick auf ein Poster in einer Auslage mit einem Mann in fortgeschrittenem Alter, bärtig, in weißem Gewand. Nur die riesigen Flügel lassen den Mann als Engel erkennen. Ich betrachte den monströsen Engel-Mann, bekomme eine Gänsehaut und wende mich ab. Gott sei Dank sehe ich wenige Schritte weiter einen Weihnachtsstand mit vielen kleinen Engelchen in sämtlichen Posen aus Keramik. Wie entzückend. Engel haben es als einzige Wesen der christlichen Religion auf Weihnachtsmärkte als Verkaufsschlager geschafft. Sie schmücken zur Vorweihnachtszeit auch das Krautundrüben-Haus, indem sie von Bücherregalen lächeln, im Bad mit sanftem Blick das Zähneputzen verfolgen oder fliegend als Glücksbringer fungieren. Nicht zu vergessen die vielen von den Krautundrübenkindern gebastelten Engelchen, die jedes Jahr aus der Schachtel gekramt werden und trotz fehlendem Flügel oder gebrochenem Füßchen ihren Platz bekommen. Wie es ihrem Wesen entspricht sind sie unaufdringlich, bescheiden und rücksichtsvoll.

Weiblicher Engel (made by Krautundrüben-Sohn)

In seiner ursprünglichen Form im Alten Testament ist der Engel der Bote Gottes und das bleibt er in weiterer Folge für das Judentum, das Christentum und den Islam. Als geschlechtsloses Wesen übermittelt der Engel den Plan Gottes an den Menschen . Daraus leitet sich auch sein Name ab. Das griechische „angelos“ meint den Boten. Der Engel ist somit unsere Verbindung zu Gott, unser Draht zu Gott, der Mittler zwischen dem Unsichtbaren, dem Allmächtigen und uns Menschen, sich stets zwischen Himmel und Erde bewegend. Wir begreifen den Engel als Zwischenwesen. Der Engel ist aber nicht abstrakt und geisterhaft, sondern uns vertraut und gegenständlich. Das Erkennungszeichen des Engels sind die Flügel, dabei hatte der Engel nicht immer Flügel. Genau genommen sind die geflügelten Engel in der Bibel den Cherubim, mischgestaltigen Wesen mit Löwenkörpern, menschlichem Gesicht und Flügeln gleichzusetzen. Außerdem gehören zum göttlichen, alttestamentarischen Hofstaat auch die Seraphim, Mischwesen mit drei Flügeln. Dabei werden die Engel lange ohne Flügel dargestellt. In der Spätantike setzt sich schließlich die Darstellung des Engels mit Flügeln und jugendlichem Aussehen durch. Während sich Theologie und Esoterik nicht einig sind, ob Engel ein Geschlecht haben und einen Körper, so hat sich ab dem Spätmittelalter schon die Darstellung des Engels in vielen Gestalten durchgesetzt, nämlich meist männlich in weißem Gewand, jugendlich mit Lockenkopf, wenig feminin und immer geflügelt. Namentlich genannt werden nur die Erzengel und da beginnt es auch schon kompliziert zu werden. Der Erzengel Gabriel ist der Überbringer der frohen Botschaft, als er Maria die Empfängnis Jesu verkündet. Erzengel Michael besiegt im Kampf den Teufel in Gestalt eines Drachen und Erzengel Raphael als Begleiter der Reisenden und auch der Kranken. Es soll noch weitere vier Erzengel geben – vielleicht sogar mehr, darüber ist man sich von der Theologie her noch nicht einig. Fest steht, dass die Aufgaben der Erzengel weit über den persönlichen Bereich hinausgehen und umfassender sind.

Weiblicher Engel mit langem Haar (made by Pubertier Kind 3)

Abgesehen vom theologischen und esoterischen, oft transzendenten  Auslegen der Engelsgestalt, ist unser Engelsbild dem der römischen Daimones oder dem persönlichen Genius in Form von Schutzgeistern und Vermittlern zwischen Göttern und Menschen ähnlich. Die Sehnsucht nach unserem persönlichen Schutzengel ist ungebrochen in einer flüchtigen Zeit, in der wir einen Begleiter brauchen, der immer um uns sein darf, einen Tröster, auch wenn wir ihn nicht sehen können, unser Bedürfnis nach Transzendenz stillend, ein überirdischer Beschützer. Und wir stets wartend auf die Botschaft des Engels, in der Hoffnung, dass sie – woher auch immer – auch diese Weihnachten kommt.

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Weiblicher Strohengel mit abgebrochenem Flügel; mein erster Weihnachtsschmuck aus den 1990er Jahren

* Meist werden Engelsrufer als Schmuckanhänger an Ketten getragen. Sie geben bei Bewegung des kugeligen Anhängers einen zarten Klang von sich, der den Schutzengel herbeirufen soll. Dieser soll der Trägerin oder dem Träger des Anhängers stets in sämtlichen Lebenssituationen zur Seite stehen.

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Engelsmusik: Maria durch den Dornwald ging von earlymusicfreiburg

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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