Force Majeure

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Das war ein seltsamer Tag heute. Ich wache nach einer sehr tief und gut geschlafenen Nacht um halb 10 Uhr morgens auf, was für mich eher ungewöhnlich ist. Eigentlich stehe ich auch an Wochenenden gegen 7 Uhr morgens auf, insofern ist das Aufstehen um halb 10 für mich bereits tiefer Vormittag. Dieses lange Schlafen und das späte Aufstehen hat natürlich einen guten Grund, da ich erst spät nachts ins Bett kam. Das späte Zu-Bett-Gehen war allerdings keiner durchgemachten Nacht auswärts geschuldet, sondern entstand aus einem unspektakulären Fernsehabend heraus.

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Ich tippe jedenfalls bis 10 Uhr abends, da ich endlich das ungeliebte, weil schon so lang daran arbeitende Kapitel zur Forschungsgeschichte beenden will. Ich mag die Beschreibungen der Reisenden aus dem 19. Jahrhundert. In diesem Fall geht es noch immer um die Reisen des Karl Graf Lanckoroński an die türkische Südküste. Ich bewundere die lebensnahen Beobachtungen und vor allem die detaillierten Beobachtungen Lanckoronskis, die er in zwei Bänden festgehalten hat. Ich kenne die türkische Südküste rund um Antalya als sehr dicht besiedelt und verkehrsreich, umso mehr gefallen mir die Beschreibungen Lanckoronskis zu dieser damaligen wilden und unbevölkerten Landschaft, den Hirten und den vielen kulturellen Schätzen, die sich ihm offenbarten. Jedenfalls fühle ich mich nach dem Beendigen des Kapitels noch wach und ein wenig aufgekratzt, sodass ich den Fernseher einschalte, aber nichts Ansprechendes beim Durchzappen finde, wohl erinnere ich mich an eine Filmempfehlung auf Netflix, die ich in der Zeitung gelesen habe. An den genauen Filmtitel kann ich mich allerdings nicht mehr erinnern, ich weiß, dass es sich um eine deutsche Produktion handelt. Ich finde schließlich nach ausgiebigem Suchen eine Kolumne mit einer Filmempfehlung, von der ich mir aber nicht sicher bin, ob es sich tatsächlich um die Filmempfehlung handelt, die ich damals gelesen habe, aber der Titel Die Liebeskümmerer scheinen mir gerade recht zu sein nach diesem arbeitsreichen Abend. Es ist bald klar, dass es sich bei diesem Film um leichte Kost handeln würde. Die Story ist sehr einfach, die Darsteller:innen sehr sympathisch, ich schlafe am Sofa nicht ein, wohl hauptsächlich wegen der schönen Landschaft an der Ostsee. Als ich danach zum Fernsehprogramm wechsle, beginnt sogleich ein weiterer Film – Sweet Home Alabama, wo ich schließlich mit der hinreißenden Reese Witherspoon bis 2 Uhr morgens innerlich um die große Liebe leide.

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Nach dem Frühstück, das sich am fortgeschrittenen Vormittag fremd anfühlt, starte ich meinen PC, um nochmals das Forschungsgeschichte-Kapitel durchzulesen. Obwohl ich wochenends keine beruflichen Mails lese, öffne ich wohl aus Gewohnheit den Posteingang. Meine Aufmerksamkeit ist sogleich auf einen Maileingang gelenkt. Ich öffne das Mail und staune nicht schlecht. Es ist die Antwort eines für mich wichtigen Mails, das ich vor 14 Jahren geschrieben und gesendet habe. Mit dem gestrigen Tag folgt nach 14 Jahren eine punktgenaue Antwort, ohne Entschuldigung für die Verspätung, aber mit einer Kooperationszusage. Ich bin verwirrt. Ich kann mittlerweile den Habitus der Beantwortung von Mails bezogen auf verschiedene Nationen gut einschätzen, und habe auch meine Erfahrungen mit unterschiedlichen Formen von Mailantworten, aber nach 14 Jahren?

Ich bin überfordert, ich werde antworten, aber ich werde mir Bedenkzeit auferlegen – wie lange?

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Der Himmel ist wolkenverhangen, aber es ist warm, als ich in den Garten gehe. Die Katzen sind bereits in frühlingshafter Aufregung. Ich beginne mit dem Garten-Frühlingsputz, sehe Tulpenblätter, Gänseblümchen und eine erste Forsythienblüte austreiben. Ich denke an das Mail, gehe in mein Arbeitszimmer, um den Posteingang wiederholt auf Incoming-Mails zu überprüfen, als ich erschrecke, da über mir im Zimmer ein durch die offene Haustüre verirrter Vogel hektisch seine Runden kreist. Wild mit den Händen fuchtelnd, damit mich der Vogel nicht anfliegt, öffne ich das Fenster und gerade als ich das Zimmer verlassen möchte, ist der Vogel beim Fenster raus. Es war eine Kohlmeise.

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Erregt von den Vorfällen setze ich mich in den Garten, um die wenigen Sonnenstrahlen für mich zu verbuchen. Ich lese in einem Journal, das ich in der Gartenhütte finde, von wo ich den Gartenstuhl hole, und das ich eigentlich im Papiercontainer entsorgen will, in einer Überschrift den Begriff Force Majeure im Sinne von Höherer Gewalt und fühle mich gerade ganz richtig.

(Force Majeure: Im deutschen Recht gibt es den Begriff der „höheren Gewalt“. Mit dieser Bezeichnung meint man schadensverursachende und ungewöhnliche Ereignisse, welche eine Vertragspartei an der Vertragserfüllung hindern. Dabei hat die Vertragspartei keine Schuld an ihrer Unfähigkeit, den Vertrag zu erfüllen. Übrigens ist der Begriff nicht gesetzlich definiert, obwohl er regelmäßig von der Rechtsprechung eingesetzt wird.)

 

Frau Krautundrübe

 

 

 

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