Ich hab die Haare schön.

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Nach intensivem Überlegen und Abwägen der Vor- und Nachteile beschließe ich, doch noch vor meiner Abreise zum Friseur zu gehen. Ich möchte die Haare schön haben, auch wenn Sonne, Meer und Hitze den Haaren schaden und das gute Ergebnis alsbald zunichte machen. Ich entscheide mich für meinen namenlosen Salon um die Ecke, der nur wenige Minuten von meinem Zuhause entfernt ist. Obwohl der Salon bereits um 7 Uhr morgens öffnet, schaffe ich es wegen Trödeleien einerseits und Mailaustausch andererseits nicht vor 8 Uhr. Ich betrete den kleinen Salon, in dem sich insgesamt 8 Frisiertische befinden, getrennt nach Männern, denen 3 Frisiertische zugestanden werden und der Rest den Damen. Als ich den Salon frühmorgens betrete, sind die Damentische bereits besetzt, außerdem warten noch zwei weitere Damen im mit zwei Stühlen ausgestatteten Wartebereich. Nach einem kurzen Wortwechsel mit den beiden Friseurinnen einigen wir uns darauf, dass ich um 11 Uhr wiederkomme. Ich setze mich zu Hause an den PC und starte halbherzig mit Arbeit. Schließlich schaffe ich es pünktlich um 11 Uhr den Salon zu betreten. Die Damen-Frisiertische sind noch immer besetzt, teils sogar noch von Damen, die bereits um 8 Uhr warteten. Ich lasse mich auf dem freien Wartestuhl neben einem älteren Herrn nieder. Ich nütze die Zeit zum ausführlichen Beantworten von Whats App Nachrichten und nehme mir ein paar Lesezirkel-Zeitschriften aus dem Zeitungsständer. Bald höre ich ein gleichmäßiges Schnarchen neben mir, der ältere Herr ist eingeschlafen, die Damen an den Frisiertischen plaudern gedämpft, aber deutlich hörbar, während die beiden Salondamen, die sich gegenseitig Frau Veronika und Frau Greti nennen, eifrig Farbe auftragen und Lockenwickler über blondierte Haare drehen. Nach einer Stunde des Wartens bin ich tief entspannt und finde noch immer Zeit, auf Whats App Nachrichten zu antworten. Auch der Lesezirkel ist ausgelesen, als ich an einen der Frisiertische gebeten werde. Inzwischen wird dem älteren Herrn innerhalb von 10 Minuten ein Messerhaarschnitt verpasst. Ich warte weiterhin geduldig und lausche den Gesprächen über jüngst verstorbene Menschen, Hochzeiten und Enkelkindern. Der Altersschnitt im Laden ist weit über 50 Jahre.

Fast ist mir entgangen, dass die orange-braune, psychodelische Tapete einer schlichten weiß getünchten Wand gewichen ist, wodurch das alte Gewölbe noch besser zur Geltung kommt. Auch die Bilder an der Wand zeigen moderne Frisuren mit teilweise bunten Haarfarben. Frau Greti beginnt, die Farbe aufzutragen, muss aber unterbrechen, da ihr Mann anruft, ob sie am abendlichen Fußballmatch des mittleren Sohnes teilnehmen möchte. Ich denke, dass sich die Themen wiederholen, als wir ein Gespräch über Fußballsöhne starten. Am Nebentisch wird noch immer über den Tod geredet. Frau Veronika erzählt von älteren Damen, die nicht mehr in den Salon kommen können, die sie aber regelmäßig zum „Haaremachen“ aufsucht, freiwillig und gerne, wie sie betont. Bei einem letzten Besuch war die alte Dame während des „Haaremachens“ sanft eingeschlafen und nicht mehr wieder erwacht, ein gelungener Tod, wie wir meinen. Nachdenklich und berührt von der Geschichte gebe auch ich mich dem „Haaremachen“ hin, verfolge, wie in dem Gestrubbel und Gelocke wieder eine Fasson entsteht. Ich beobachte die ältere Dame neben mir, die sich zufrieden im Spiegel betrachtet und sich herzlich fürs „Schönmachen“ bedankt. Sie fährt nach Wien und da braucht sie eben eine schöne Frisur, wie sie meint. Nach über drei Stunden im Salon darf auch ich mich zufrieden im Spiegel betrachten, den Kopf nach links und rechts wendend, leicht gesenkt und mit vorgestrecktem Kinn streng prüfend, ob noch eine Strähne gekürzt werden soll. Ich gehe leichtfüßig nach Hause, die Frisur wippt im Takt zu den Schritten und gerne lasse ich mich von Herrn Krautundrübe bewundern.

Wenn es dann so weit sein soll, dass ich meine Augen schließen muss, möchte ich mit dem Finger schnippen und sagen: „Frau Veronika, bitte einmal die Haare schön!“

 

Frau Krautundrübe

 

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