Ich, Misanthrop?

Veröffentlicht am Keine Kommentare zu Ich, Misanthrop?

Wochenendpläne gibt es diesmal keine. Der Garten soll eingewintert werden, das heißt, alles was nicht in den Winter-Garten gehört und an Sommer erinnert, muss irgendwo verstaut werden. Das sind äußerst unliebsame Tätigkeiten , wie das Laub von der Wiese zu entfernen und die nicht-winterharten Pflanzen in den Keller zu räumen. Bis April bleiben die Topfpflanzen im Keller-Winterschlaf. Nach den vorangegangen starken Regenfällen ist es sonnig, aber sehr kühl und windig. Ich habe keine Lust auf Draußen-Sein, lieber ist mir heute Drinnen-Hausarbeit.

++++

Da höre ich in Vorbereitung auf meine Hausputz-Session im Radio zum wiederholten Mal ein Lied, das unter all den einfachen Popsongs fremd klingt. Ich drehe die Lautstärke höher und der Song erinnert mich an die Beatles. Ja, ja es sind auch die Beatles, wie der anstrengende Radioansager mit leicht überschlagener Stimme bestätigt, weil Dank der KI ist es möglich geworden, diesen Song so zu veröffentlichen. Ich recherchiere, bin dann aber wenig überrascht, dass die Stimme von John Lennon von einer Aufnahme auf einer Musikkassette aus dem Jahr 1975 extrahiert werden konnte und von den restlichen Beatles neu eingespielt wurde. Ja, warum denn nicht? Es ist ja auch möglich, in kurzer Zeit mithilfe komplexer Wahrscheinlichkeiten Texte mit sinnvollem Inhalt, Bilder, Grafiken und Musik zu generieren. Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet Kreativität gleich einer Faschiermaschine in die Automatisierungsfalle tappt, wogegen ich mit meiner unliebsamen Hausarbeit noch voll auf meinen eigenen Einsatz und meine eigene Muskelkraft angewiesen bin.

++++

Allerdings spricht mein Geschirrspüler mit mir. Er ist ganz neu. Er hat auch WLAN. Es ist eigentlich eine Gespirrspülerin, da die Stimme, die spricht, weiblich ist. Wenn ich mich kümmern würde, könnte ich auch mit meiner Geschirrspülerin sprechen. Das nennt sich Home Connect Connectivity oder vernetzter Geschirrspüler. Ich habe beschlossen, dass ich mich mit meiner Geschirrspülerin nicht unterhalten und vernetzen mag. Da höre ich lieber die Abspannmusik meiner Waschmaschine. Ist die Wäsche in der Waschmaschine fertig gewaschen, ertönen ein paar Takte der „Forelle“ von Schubert, die sich über ein paar Minuten immer wieder wiederholen –

In einem Bächlein helle, da schoß in froher EilDie launische Forelle vorüber wie ein PfeilIch stand an dem Gestade und sah in süßer RuhDes muntern Fischleins Bade im klaren Bächlein zu…

++++

Ich erwarte mit Spannung, wie es weiter geht. Meine Waschmaschine hat immerhin Schubert im Abspann und keine schmeichelnde, gefällige, von KI produzierte Berieselung. Man sagt, dass erste Untersuchungen belegen, dass die Menschen die gefilterten, anständigen und verschönerten KI-Produkte akzeptieren und sogar mehr wertschätzen als alles Menschliche.  Wie froh bin ich, dass ich meine Bankgeschäfte von zu Hause aus machen kann und nicht auf unwillige, falsch-freundliche, inkompetente BankbeamtInnen treffen muss. Meine Glücksgefühle sind beim Online-Shoppen auch wesentlich ausgeprägter, als im Geschäft, wo stets eine aufmerksame Person lauert, die auf die Preistafel meines gewählten Produktes ein Pickerl klebt, gleichsam markiert. Werden wir zunehmend zu Menschenfeinden und bevorzugen wir die virtuelle Kommunikationen, um sich nur ja nicht mit der Ungeduld, der Langsamkeit, der Unzulänglichkeit und der Unvollkommenheit des Menschlichen zu umgeben? Ich fürchte, ja.

 

Frau Krautundrübe

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert