Der Sommer ist mir stets verbunden mit Sehnsuchtsorten, den Sommersehnsuchtsorten. Die Erinnerung an die Ferientage bei den Großeltern im Mürztal in der Steiermark ist noch immer groß. Die Frische, die vom Bach aufsteigt, und so den heißesten Tag erträglich macht, eingebettet in eine gebirgige Landschaft. Das beruhigende Rauschen des Baches beim Einschlafen, die wilde Unbeschwertheit den ganzen Tag über, aber auch die Schimpfe der Großmutter, wenn man etwas angestellt hat, wenn sie nach einem Waschtag müde war. Es gab zwar eine Waschmaschine, aber sie setzte noch einige Jahre den wöchentlichen – oder zweiwöchentlichen? – Waschtag fort, wo sie in der Waschküche Handtücher und Bettwäsche auskochte. Ich drückte mein Gesicht an das vom Waschdampf angelaufene Kellerfenster, um einen Blick von der Großmutter zu ergattern, die aber im dampfenden Waschkeller nur schemenhaft blieb. An diesen Tagen – es war gefühlt an den Mittwochen – gab es zu Mittag Rahmsuppe mit Semmelbrotwürfeln. Diese Rahmsuppe war äußerst einfach aus Sauerrahm in gesalzenem Wasser gekocht. Das besondere daran war aber der Kümmel, der der Suppe schließlich eine besondere Note verlieh. Sonst vergingen die Tage einer wie der andere.
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Einer der Höhepunkte war der Ausflug ins Burgenland zu Onkel Kilian. Wir fuhren über das Alpl, einem bewaldeten Passübergang in den Niederen Tauern, statteten manchmal Peter Roseggers Waldheimat einen Besuch ab, um dann durch das Joglland ins Burgenland in die Jennersdorfer-Gegend zum Haus des Onkel Kilian zu kommen. Dabei dachte ich, dass die Bezeichnung Joglland eine Erfindung meines Großvaters wäre, bis ich viel später erkannte, dass das Joglland tatsächlich eine Gegend in der Oststeiermark bezeichnet. Das Burgenland jedenfalls war eine neue Welt für mich. Das Gras war dort braun und verdorrt, die Häuser waren niedrig und es war ruhig. Wegen der Hitze konnten wir nicht im Garten von Onkel Kilians Haus sitzen, sondern im Inneren in einem stark abgedunkelten Wohnzimmer. Später am Tag saßen wir noch bis zum Sonnenuntergang auf unbequemen Stühlen vor dem Haus und blickten in den orangen Himmel. So begann in meinen jungen Jahren meine Liebe zum Burgenland.
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Seit vielen Jahren fahre ich im Sommer für ein paar Tage in die Gegend des Neusiedlersees. Der Neusiedlersee im Burgenland ist ein Steppensee, den sich Österreich und Ungarn teilen. Rund um den See hat sich ein breiter Schilfgürtel gebildet, der ein idealer Lebensbereich für Vögel ist. Große Gebiete auch im Hinterland gehören zu einem Naturpark, dem Seewinkel mit kleineren „Seen“, den sogenannten Laken. Die Landschaft ist steppenartig, trocken und sehr flach, was wiederum sehr viel Himmel erlaubt. Größere Städte gibt es im Burgenland nicht, die Dörfer bestehen aus einer Hauptstraße mit aneinandergereihten streifenartigen Hofhäusern, was insgesamt einen sehr zurückhaltenden, bescheidenen Eindruck hinterlässt. Im Sommer überziehen Tourist:innen das Land mit ihren Fahrrädern, wandernd im Seewinkel oder als Wassersportler:innen. Nichtsdestotrotz wird auch hier einem Zuviel erfolgreich Einhalt geboten, indem man die Übernachtungsangebote zum Beispiel nicht aufstockt.
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Dementsprechend begeistert lese ich den Roman Nincshof von Johanna Sebauer. Johanna Sebauer war mir insofern ein Begriff, als sie mich im letzten Jahr bei der Bachmannpreis-Lesung mit ihrem Beitrag Das Gurkerl begeisterte, wofür sie auch den 3SAT-Preis und den Publikumspreis erhielt. Mit dem Burgenland in Verbindung bringe ich Johanna Sebauer seit einer Kurzgeschichte im Rahmen der burgenländischen Landtagswahl im Jänner 2025, die ich in meiner Tageszeitung gelesen habe (Burgenländisches Zugverhalten, Kleine Zeitung vom 18. Jänner 2025). Der Roman Nincshof erschien bereits 2023. Das kleine Dorf Nincshof liegt im österreichisch-ungarischen Grenzgebiet. Dank des fortschreitenden Tourismus und der Digitalisierung wird das eher verschlafene Dorf zunehmend mit globalen Ereignissen konfrontiert, wogegen sich drei Dorfbewohner wehren wollen. Die Männer, die sich die Oblivisten (nach lat.: oblivere=vergessen) nennen, treffen sich jeden Tag heimlich, um Pläne zu schmieden, wie das Dorf so unwichtig werden kann, dass es für die restliche Welt in Vergessenheit gerät. Während ihrer nächtlichen Treffen stoßen die Oblivisten auf die Witwe Erna Rohdiebel, die nächtens heimlich den Swimmingpool im Garten der Fredericke Liebzipfel aufsucht, die sie für ihre Sache gewinnen wollen. Der Plan der Oblivisten scheint durch den Zuzug der Zuagroasten aus Wien zu wackeln. Dank Pusztafeigenschnaps und Irrziegen nimmt das Schicksal von Nincshof schließlich seinen Weg.
Ein Sommerroman, aber vor allem eine Hommage an das Burgenländertum, auf alle Fälle lesenswert.
Dazu unbedingt: Molden, Resetarits, Soyka, Wirth – Da Neisiedla See
Frau Krautundrübe