#WMDEDGT
Frau Brüllen fragt jeden 5. des Monats #WMDEDGT („Was machst du eigentlich den ganzen Tag“)
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Ich wache nicht in meinem Bett auf. Nach einer durchwachsenen Nacht wegen zu dicker Decke, zu weicher Matratze, zu festem Polster und zu vollem Bauch stehe ich heute erst um 8.30 Uhr auf. Durch den dunklen dreieckigen Vorhang blinzelt das Tageslicht. Ich schiebe die beiden Stoffteile zur Seite. Nach einem hoffnungsfrohen, lichtüberfluteten Augenblick erkenne ich, dass es mehr oder weniger ein trüber Tag werden würde. Egal. Schönes, gar frühlingshaftes Wetter hätte meinen Tagesplan ins Wanken gebracht. Ich taste mich innerlich ab, noch kein Halskratzen, keine Kopfschmerzen oder Gliederziehen. Ich höre Geräusche aus dem unteren Stockwerk, die ich Herrn Krautundrübe zuschreibe, und bin gleichzeitig beruhigt, dass es ihm offenbar gut geht. Ich sehe nach dem schlafenden Pubertier, scheuche die Katzen aus seinem Zimmer und schließe die Türe, bevor ich zögernd in das untere Stockwerk gehe, wo Herr Krautundrübe hauptsächlich hustet. Ich betrete die Küche, Herr Krautundrübe sitzt am Tisch und liest Zeitung. Ein strenger Blick meinerseits veranlasst ihn rasch, seine Maske aufzusetzen. Ich hole für mich ebenfalls eine frische FFP2 Maske und setze mich an den Tisch. Es ist ungemütlich, weil die Türe zur Terrasse sperrangelweit offen steht, obwohl es die Temperaturen noch nicht erlauben. Ich denke an die kontaminierten Flächen und überlege, ob das auch auf die Zeitung zutrifft. Herr Krautundrübe erkennt meinen Unmut ob seiner Anwesenheit und verzieht sich wieder in sein Zimmer. Ich beginne die Zeitung zu lesen. Scheiß Corona, die Stimmung ist endgültig am Boden! Aber was lese ich da in meiner Lieblings-Kleinen-Regionalzeitung? Man(n) will der einzigen weiblichen Superkraft an den Kragen gehen? Die neurowissenschaftliche Forschung nämlich weiß nun, dass Multitasking nachhaltige Veränderungen im Gehirn verursacht. Das soll heißen: Wer sich immer umkonzentriert, ist bald unkonzentriert, da sich das Hirn an die kurzen Aufmerksamkeitsspannen gewöhnt. Meine Lieblings-Kleine-Kolumnistin weist auch darauf hin, dass es der 8.-März-Frauentag mit dem „Women’s Day Sale“ und Rabatten auf Schminke und Nagellack an diesem Tag nun in den Konsumhimmel geschafft hat, und somit der Frauentag endlich in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. (Ja, ich bin leicht zu erheitern.) Mittlerweile hat sich das Pubertier seine Müslischale zubereitet und sich zu mir an den Tisch gesetzt. Nein, ich werde nun nicht unsere momentane, gute Grundstimmung zerstören und frage nicht nach seinen Schularbeitsterminen im Sommersemester. Wir unterhalten uns – über Proteine und Muskelaufbau, dem derzeitigen Lieblingsthema des Pubertieres, und ja, ich kenne seinen Rat, am Training dranzubleiben. Nachdem ich gestern nicht wusste, ob ich mich krank fühle, weiß ich heute auch nicht, ob es nicht doch im Hals kratzt, weshalb ich den Cardio-Tag mit einer langen Laufeinheit gegen das Gym am Nachmittag tauschen möchte.
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Ich setze mich nach dem Frühstück an den PC, um die morgige Vorbesprechung zur Exkursion im Mai vorzubereiten. Nachdem ich über die neuesten Headlines des britischen und schwedischen Königshauses durch bin, öffne ich meine PPP und starte mit den Referatsthemen und der Literaturrecherche zu den einzelnen Themen. Weil das ziemlich langweilig ist, gehe ich zwischendurch in den Garten, wo es noch gar nicht nach Frühling riecht, und noch sehr verstaubt und viel zu trocken ist. Ich gieße die wenigen Blümchen, dabei sehe ich durch das Fenster spähend das auf der Couch liegende Pubertier mit seinem Lateinbuch – es scheint noch Wunder zu geben. (Er informierte vor dem geplanten Basketballspiel seine Freunde über die Coronainfektion seines Vaters, die ihm rieten, zu Hause zu bleiben und abzuwarten.) Ich warte ebenfalls auf das endgültige Nicht-Krank-Werden und verschiebe das Gym auf den nächsten Tag.
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Herr Krautundrübe kocht am frühen Nachmittag eine Trostsuppe, seine Maske trägt er unter dem Kinn, womit er abermals einen strengen Blick von mir erntet. Ich beschließe gegen einen möglichen Süßigkeiten-Frust-Anfall im weiteren Tagesverlauf, einen Apfelstrudel zu machen. (Nein, hier kommt kein Strudelteig-Spezialrezept, Strudelteig kommt fertig abgepackt aus dem Supermarkt, auch die Äpfelchen sind nicht mehr vom eigenen Bäumchen, sondern aus dem Supermarkt.) Ich bereite zum Stück Apfelstrudel eine Tasse Kaffee. Da fällt mir ein, dass das Pink-Floyd-Album „The Dark Side of the Moon“ vor fünfzig Jahren veröffentlicht wurde, wie ich unlängst gelesen habe. Ich krame in den CD-Boxen, die von Herrn Krautundrübe dankenswerterweise alphabetisch geordnet sind, sodass ich die Pink-Floyd-CD rasch finde und abspiele. Zu viel Vergangenheit. Ich breche bei „Brain Damage“ ab, da mir die Ruhe fehlt, mich darauf einzulassen. Ich taste mein Inneres nochmals nach eventuellen Symptomen ab, aber da ist nichts, sodass ich meine Kleidung für den morgigen Bürotag überlege. Wegen der angekündigten winterlichen Temperaturen fällt die Wahl auf einen ausreichend dicken Pullover, lange Hosen und gefütterte Winterschuhe. Mittlerweile ist es auch Abend geworden und das Wochenende so gut wie geschafft. Nur der Sonntags-Tatort fehlt noch!
Frau Krautundrübe